Die Herrin der Kathedrale
zum Schutz vor der gleißenden Sonne mit der Hand ab und begann, die Schritte bis zur Außenmauer der Klosteranlage abzuzählen. »Sechsundfünfzig!«, rief sie Schwester Margit zu und eilte dann wieder an deren Seite. »Wenn wir die Hälfte davon für die Erweiterung Eurer Krankenstation hergeben, sollte das ausreichen.«
»Schwester Margit!«, kam da eine Schwester auf sie zugestürzt.
»Nicht so eilig, Schwester Johanna!«, mahnte Margit. »Der Herr hat uns Ruhe aufgetragen.«
»Verzeiht«, entschuldigte sich die Angesprochene, die ungefähr in Utas Alter war. Hastig verbeugte sie sich vor den Frauen. »Als ich gerade unseren Honigwein prüfte, ist mir aufgefallen, dass er eine seltsame Farbe angenommen hat. Wir benötigen im Kelterkeller Eure Hilfe Schwester Margit, sonst könnte das Getränk verderben.«
»Welche Farbe zeigt er denn?«, fragte Margit und erklärte Uta noch im selben Atemzug: »Wir erproben uns gerade darin, unserem Honigwein einmal eine andere, leicht fruchtigere Note zu geben. Einer der verwundeten Kämpfer an der Ostgrenze verstand sich vortrefflich auf die Herstellung von Honigwein und hat mir die Zugabe von Pflaumen empfohlen.«
»Er färbt sich blutrot. Wir müssen etwas unternehmen!«, drängte Schwester Johanna ängstlich. »Eilt Euch!«
»Ich komme, sobald ich kann«, schüttelte Margit den Kopf, während Uta unwillkürlich schmunzeln musste. »Ich bin gespannt auf Euer neues Getränk. Bringt mir doch eine Kostprobe, sobald es fertig ist.«
»Gerne, Gräfin«, bestätigte Margit und wandte sich noch einmal Schwester Johanna zu. »Ich habe mit der Gräfin noch einiges zu besprechen. Nach dem Mittagsgebet komme ich in den Kelterkeller hinunter und schaue mir unseren Versuch genauer an.«
»Nach dem Mittagsgebet?«, fragte Schwester Johanna und begann, unruhig an ihren Nägel zu kauen. »Da wolltet Ihr doch schon Schwester Erwina helfen, einen neuen Choral zu proben.«
Margit wischte sich mit der Hand über die Stirn. »Eins nach dem anderen. Wir schaffen das schon.«
Mit einer erneuten Verbeugung verließ Schwester Johanna den Garten.
»Ihr kümmert Euch auch um den Weinkeller?«, fragte Uta erstaunt. »Habt Ihr nicht mit der Leitung der Krankenstation alle Hände voll zu tun? Und dann ist da ja noch der Chor, dessen Ihr Euch angenommen habt.«
»Die Äbtissin wünscht es so«, erklärte Margit mit einem hilflosen Schulterzucken und deutete mit dem Kinn auf das Hauptgebäude des Moritzklosters.
Utas Blick fiel auf ein Fenster im zweiten Geschoss direkt über der Krankenstation. Ihr war, als ob dort eben noch die Umrisse Notburgas von Hildesheim zu sehen gewesen wären: mit nur von einem Band gehaltenem offenem Haar, das ihr – gleich dem einer Jungfrau – über Brust und Hüften fiel. Unauffällig befühlte Uta den Sitz ihres Schleiers und führte ihren Blick wieder zu Schwester Margit zurück.
»Verzeiht die Störung, Gräfin«, bat Margit. »Ihr spracht gerade von …«, sie überlegte angestrengt, doch ihr gingen einfach zu viele Dinge gleichzeitig im Kopf herum.
»Wir sprachen von den zwei neuen Kammern für die Krankenstation.« Uta lächelte verständnisvoll. »Sechsundfünfzig Fuß misst Euer Garten in der Breite. Gut dreiundzwanzig Fuß könnten wir davon für den Anbau abtrennen. Ich schätze, dass eine Mauerdicke von einem Fuß ausreichen wird, weil kein gewaltiges Dach darauf lasten wird.«
Margit nickte erstaunt über die Leichtigkeit, mit der Uta vermaß und plante.
»Wir haben noch Gestein von den Fundamenten des Lang- und Querhauses übrig, das wir für die unteren Mauern der Kathedrale nicht verwenden können. Was haltet Ihr davon, wenn wir es für die Erweiterung der Krankenstation nehmen? Der Bau der Kathedrale schreitet schnell voran – vielleicht wird uns Meister Tassilo daher auch ein paar Maurer ausleihen können. In diesem Fall würden die zwanzig neuen Betten noch bis zum Winter ein Dach über dem Kopf bekommen.« Margit atmete erleichtert auf. »Das wäre ein großes Geschenk für unsere Patienten, Gräfin«, entgegnete sie.
»Dankt später den Handwerkern. Sie freuen sich über Euren Zuspruch und ein Gebet in ihrem Sinne«, empfahl Uta und schaute sich erneut im Garten um. »Sicherlich werden wir auch einiges vom Holzbestand auf der Baustelle verwenden können. Gleich morgen werde ich die Vorräte prüfen lassen.«
»Habt erneut Dank, Gräfin, dass Ihr Euch immer wieder unserer Belange annehmt«, entgegnete Margit.
»Ich stimme mich zügig
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