Die Herrin der Kathedrale
führten, ein Licht flackern sah, stieg sie hinab.
» Dies diem docet , Uta von Ballenstedt«, trat ihr Hermann sogleich entgegen. »Schön, dass du meiner Bitte gefolgt bist.« Uta blickte auf und antwortete ihm mit einem Lächeln.
»Lass uns gemeinsam beten«, sagte er und führte die vertrauliche Anrede, zu der sie in ihrer Nacht am Feuer übergegangen waren, wie selbstverständlich fort.
Sie traten vor die Wand mit dem steinernen Jesuskreuz, das links und rechts von Säulen geziert wurde, die dem ansonsten schmucklosen Raum etwas Eigentümliches verliehen. Keine Handbreit voneinander entfernt falteten sie die Hände und hielten Zwiesprache mit dem Herrn.
»Mutter«, begann Uta ihr stummes Gebet. »Stellt Euch vor, ich habe einen Brief an die Kaiserin verfasst, mit der Bitte, meine Anklage gegen Esiko vorbringen zu dürfen. Wenn sie von meiner Augenzeugin liest, wird sie meinem Begehr bestimmt zustimmen.« Davon, dass Hazechas Zeugenaussage keinen Zweifel an der Schuld des Bruders ließ, hatte sie der Mutter bereits wenige Tage nach ihrer Rückkehr aus Ballenstedt berichtet.
»Wie geht es dir?«, fragte Hermann schließlich und öffnete die Augen.
»Die Planung für den dritten Bauabschnitt kommt voran«, entgegnete sie, während das Licht der Fackel, das die kleine Krypta schwach erhellte, ihr Gesicht mit einem samtenen Schimmer überzog. »Morgen schon will Meister Tassilo sie besprechen.«
»Und mit deiner Familienangelegenheit?«, setzte er nach, amüsiert über den Umstand, dass sie stets zuerst vom Kathedralbau sprach.
»Ich habe heute Morgen einen Boten zur Kaiserin geschickt«, erklärte Uta mit gesenkter Stimme, »mit einem Schreiben, das meine Bitte zur Anklage enthält. Wenn sie zustimmt, und ich bete innig, dass sie dies bis zum Ende des Sommers tun wird, werden Hazecha und ich die Anklage im kaiserlichen Winterlager im Speyergau vortragen.«
»Kennt dein Bruder eure Pläne?«
Sie schüttelte den Kopf. »Niemand weiß davon, außer Hazecha, dir, der Kaiserin und mir.«
»Wie kann ich dir helfen?«, fragte Hermann und verspürte eine Woge des Glücks in sich aufsteigen, weil sie ihn noch vor der Kaiserin aufgezählt hatte. »Graf Esiko lässt sich sicherlich nicht ohne Widerstand vor dem Gericht des Kaisers anklagen. Er wird einen Weg suchen, dies zu verhindern oder zumindest zurückzuschlagen. Und inzwischen reicht sein Einfluss auch weit bis in die Kreise des Kaisers.«
»Ich kenne meinen Bruder«, sagte Uta und ihre Miene verfinsterte sich. »Ich bin mir bewusst, dass ich jedes Wort und jeden Schritt sorgfältig überlegen muss.«
»Versprich mir, meine Hilfe anzunehmen, wenn du sie benötigst, und versprich mir außerdem, vorsichtig zu sein.«
Utas Gesicht entspannte sich auf seine Worte hin. Sie fühlte sich wieder geborgen. »Ich verspreche es.«
Er nickte und ging auf die Treppe zu. Uta folgte ihm und ergriff seine Hand. Begleitet von einem behaglichen Seufzer seinerseits schmiegte sie ihre Hand in die seine, gerade so, als wären es ihre Körper. Mit dem ersten Schritt in die Halle der Burgkirche lösten sie ihre Hände wieder voneinander. Ein flüchtiger, sehnsüchtiger Blick folgte. Und als Uta in die Turmkammer zurückgekehrt war, schien es ihr bis zum nächsten Treffen unendlich lange. Doch mehr als ein Beisammensein zu Vollmond durften sie nicht riskieren, wollten sie ihrer Gefühle noch Herr bleiben und keinerlei Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
»Alles Nichtigkeiten!«, kommentierte Aribo und zerbröselte das Pergament des Naumburger Bischofs – das achte seiner Art – mit den Fingern. Fensterbögen, die rund wie die Brüste einer Frau geformt sind; Steinmetze, die in betrunkenem Zustand hölzerne Schablonen vor den Altar geworfen hatten. Aribo von Mainz benötigte mehr, um den Bau der Naumburger Kathedrale ins Wanken zu bringen. »Sucht mir das Pergament des Meißener Markgrafen heraus«, befahl er seinem Kaplan.
»Das Bankett kann jeden Augenblick beginnen«, erinnerte Wipo ihn und reichte ihm das gewünschte Pergament aus dem Stapel vor sich. Alle Bittschreiben an den Kaiser durchliefen die Schreibstube der Hofkanzlei und damit auch Aribos Schreibpult. »Der Großfürst Jaroslaw von Kiew schreitet bereits auf den großen Saal zu, Exzellenz.«
Aribo schaute vom Pergament auf. »Habt Ihr Euch persönlich überzeugt, dass alles für das Fest gerichtet ist, Kaplan?« Es war ein kluger Schachzug gewesen, den russischen Herrscher nach den jüngsten Vorkommnissen hier in
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