Die Herrin der Kathedrale
Seiteneingang des Gernroder Klosters stehen, wo sie sich zuletzt voneinander verabschiedet hatten. »Wenn ich dich nicht in meinen Kampf um Gerechtigkeit hineingezogen hätte, Hazecha, wärst du heute noch am Leben.«
Uta erhob sich und trat vor ihre Gewandtruhe, zog von ganz unten die in ihr verwahrte Wachstafel hervor und ging dann zum Schreibpult, um den zugehörigen Griffel zu holen. Beim Blick auf die Tafel schüttelte sie den Kopf. Der erste Satz, der auf ihr geschrieben stand, las sich wie blanker Hohn:
»Schwerste Verbrechen durch Beschädigung des Lebens eines Delinquenten zu sühnen …« Sie vermochte den Satz nicht zu Ende zu sprechen. Stattdessen drehte sie den Griffel um und begann mit seiner stumpfen Seite, das Wachs zu glätten.
Die Arme an den Körper gepresst, den Kopf demütig gesenkt, fiel Hermann auf die Knie. »Herr, aus der Tiefe rufe ich zu dir. Herr, höre meine Stimme. Lass deine Ohren die Stimme meines Flehens vernehmen.« Er beugte sich so weit hinunter, dass seine Stirn den steinernen Zellenboden berührte. »Wenn du, Herr, Sünden anrechnen willst – Herr, wer wird da bestehen? Denn bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte. Meine Seele wartet auf dich, Herr, mehr als die Wächter auf den Morgen« 29 , führte er den Bußpsalm weiter, wie er es die vergangenen Tage jeweils bei Sonnenaufgang, -höchststand und -untergang getan hatte. Hermann legte sich nun bäuchlings auf den Boden des Georgsklosters. Mit einem tiefen Atemzug und im Bewusstsein, dass die Kälte des steinernen Bodens nun in jede Faser seines Fleisches kriechen würde, streckte er die Arme von sich. Sein Gesicht zeigte in Richtung der kahlen Wand, vor der nichts als ein Strohsack lag. Obwohl er wusste, dass sich sein Kiefer durch die Schieflage und von der Kälte des frühen winterlichen Frosteinbruchs bald wie betäubt anfühlen würde, drehte er den Kopf und drückte die linke Wange auf den Boden. »Meine Seele wartet auf den Herrn«, sprach er weiter – auch als es klopfte.
»Bruder?«, kam es da von der anderen Seite der Zellentür.
Hermann presste die Wange noch fester auf den Boden.
Da war Ekkehard auch schon eingetreten. »Bruder?«, fragte er ein zweites Mal, als ob er sich erst vergewissern müsste, wer dort mit ausgebreiteten Armen vor ihm lag.
»Erhöre mein Gebet«, sprach Hermann weiter. »Vernimm mein Flehen um deiner Wahrheit willen, erhöre mich um deiner Gerechtigkeit willen.«
»Bitterkalt ist es hier drinnen«, merkte Ekkehard an. »Warum befiehlst du dir kein Kohlebecken her? Na ja, auf der Baustelle gibt es bald wieder gute Suppe. Die wird dich sowieso besser wärmen als ein paar brennende Kohlen.« Erst als Ekkehards Blick vom Strohsack zurück zu Hermann glitt, fiel ihm dessen veränderte Gewandung auf. »Du trägst den Chormantel der Benediktiner?«
Hermann erhob sich. »Ekkehard, ich komme nicht mehr auf die Baustelle. Abt Pankratius wird mich in wenigen Tagen in die Gemeinschaft hier aufnehmen. Ich werde mich von nun an ausschließlich dem Beten und Arbeiten widmen. Ora et labora .«
»Du willst wirklich als Ordensbruder ins Georgskloster eintreten?«, fragte Ekkehard fassungslos. Er hatte schon von Frauen gehört, die den Schleier genommen hatten, weil sie nicht heiraten wollten oder von ihren Männern verstoßen worden waren. Aber ein Markgraf, der freiwillig Macht und Titel abgab und in ein Kloster eintrat, war ihm noch nie begegnet. Das Leben im Kloster, so fand er, taugte doch eh nur für diejenigen, die es weder auf dem Schlachtfeld noch in der Politik jemals zu etwas bringen würden. »Sind denn vier Tage am Stück nicht genug, um Buße zu tun?«, meinte Ekkehard verunsichert.
Hermann schüttelte den Kopf. »Vier Tage für zwei Menschenleben?« Wovon das eine der Schwester meiner großen Liebe und das andere meinem Freund gehört hat, fügte Hermann in Gedanken hinzu. Zudem hatte er den Menschen den Glauben an die Kämpfer-Kathedrale genommen, sie entweiht. Der Brand, wenn auch durch seinen Span entfacht, war ein Zeichen Gottes an alle Gläubigen gewesen, dass die Kathedrale nicht mehr gesegnet war und Gott ihrem Wachstum Einhalt geboten hatte.
»Du musst die Bautätigkeiten wieder aufnehmen, Bruder!«, insistierte Ekkehard. »Ich habe die Gewerkmeister bereits gebeten, mit den Aufräumarbeiten zu beginnen, und ihnen zugesagt, dass du in wenigen Tagen die Arbeiten wieder persönlich überwachen wirst. Außerdem wünscht der Kaiser unsere Unterstützung. Es gibt Probleme
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