Die Herrin der Kathedrale
Esiko kam aus Augsburg, wo er einen Kaufmann getroffen hatte, der alljährlich über die Alpen zog und ihm von den Zuständen im südlichen Reichsteil berichtet hatte. Nach dessen Worten begehrten die adeligen Vasallen in Mailand, Cremona und Piacenza gegen die Macht der Bischöfe auf, die die Stützen der kaiserlichen Macht vor Ort bildeten. Der italienische Nieder- und Hochadel forderte Rechte ein, die der Adel im Ostfrankenreich bereits besaß. Der Kaiser würde vermitteln müssen, ohne sich eine der beiden Gruppen zum Feind zu machen. Wahrhaft eine Herausforderung, dachte Esiko und sprach weiter: »Ich danke Euch für die Möglichkeit, Euch noch vor den Toren von Merseburg in dieser vertrauten Runde sprechen zu dürfen.« Nun neigte er den Oberkörper galant am Kaiser vorbei in Richtung Gisela.
»Was ist Euer Begehr, Graf?«, fragte Konrad und bedeutete den Leibwachen erneut, Abstand zu halten.
»Ich habe vernommen, dass Hermann von Naumburg seiner Mark nicht länger als Markgraf vorsteht«, kam Esiko ohne Umschweife auf den Kern seines Anliegens zu sprechen und musste dabei unwillkürlich an Uta denken, die seit dem Kathedralbrand – glaubte er den Berichten der Äbtissin des Moritzklosters – zurückgezogen lebte. Anstatt mit Männern beim Kathedralbau zu wetteifern, schien sich die Schwester schließlich doch noch unterworfen zu haben. Für mich fügen sich die Dinge von ganz allein, dachte er und blickte zufrieden zum Kaiser. »Da Ekkehard von Naumburg als erster Erbberechtigter der Markgrafenschaft keinen Erben vorweisen kann, wollte ich mich Euch für die Mark Meißen empfehlen, Kaiserliche Hoheit. Meine männliche Erbfolge ist bereits zweifach gesichert.« Esiko versuchte, Gisela von Schwaben mit einem einnehmenden Lächeln für sich zu gewinnen, die Kaiserin hielt ihren Blick jedoch geradeaus auf die vor ihr reitenden Bewaffneten gerichtet und schien dem Gespräch nicht zu folgen.
»Habt Dank für Euren Mut, das Erbe der Naumburger antreten zu wollen«, entgegnete Konrad. »Einem Heerführer wie Euch, Graf Esiko, traue ich diese Aufgabe durchaus zu. Ich werde darüber nachdenken.«
»Für Euer Vertrauen bin ich Euch zu tiefem Dank verpflichtet«, erwiderte Esiko salbungsvoll. »Ich bin Euch stets zu Diensten, auch auf dem Weg nach Burgund und nach Italien!«
»Dafür danke ich Euch, Graf«, gab Konrad ehrlich zurück. Der Ballenstedter dachte voraus, und das ermutigte ihn in diesen unruhigen Zeiten. »Während der Tage in Merseburg nehmt Euch bitte der Bestärkung der dem Heer zugehörigen Adligen an. Es gilt, sie nach den zurückliegenden Feldzügen für die nächsten Kämpfe zu motivieren.«
Esiko nickte und verneigte sich. Dann zog er die Zügel seines Pferdes an, gab ihm die Sporen und preschte an die Spitze des Zuges.
»Was meint Ihr zu Heerführer Esiko?«, fragte Konrad Gisela, die noch immer auf die Vorausreitenden blickte.
»Ihr gedenkt, die erbliche Übertragung der Markgrafenwürde außer Kraft zu setzen?« Verwundert wandte sie sich nun dem Gatten zu.
»Er könnte der Richtige sein, um die Mark in Zukunft zu beschützen«, entgegnete Konrad. »Obendrein ist er ein hervorragender Kämpfer und Stratege. Ekkehard von Naumburg würde ich diese Fähigkeit gleichfalls nicht absprechen, doch fehlt es ihm tatsächlich an einem Erben. Das Risiko, einen womöglich unfähigen Verwandten aus einer weit entfernten Nebenlinie als Markgrafen einzusetzen, dürfen wir dieser wichtigen Mark nicht aufbürden.«
»Seht doch, die Pfalz ist in Sicht!«, erwiderte Gisela und deutete auf einen langgestreckten Hügel, der sich in der Ferne aus der flachen Landschaft heraushob. Seine höchsten Punkte lagen jeweils an seinen Enden im Norden und Süden, während sich die Pfalz exakt mittig in seiner Senke befand.
Unter den Blicken der Mitreisenden nahm Konrad den Kopf seiner Gattin zwischen seine Hände und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ich schätze Euren Rat sehr, Gisela.«
Ein ungewöhnlicher Ort, dachte Notburga von Hildesheim, als sie die Pfalz von weitem erblickte. Normalerweise war der höchste Punkt einer Anlage dem Herrscher und keinem einfachen Kloster vorbehalten. Ein ungewöhnlicher Ort für ungewöhnliche Begegnungen. Sie spürte sogleich, wie sie zwischen den Beinen feucht wurde. Den Schauer, der darauf ihren ganzen Körper erfasste, kostete sie genüsslich aus, während sie im Zug des Grafen Ekkehard von Naumburg auf die Merseburger Pfalz zutrabte. Sie ritt im hinteren Drittel des
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