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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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vor. »Und was wird jetzt aus uns? Wir haben nun keine Oberin mehr!« Für die Sanctimonialen war dies eine neue Situation. Äbtissin Hathui hatte dem Stift mehr als fünfzig Jahre vorgestanden.
    »Bis die neue Äbtissin eintrifft, übernimmt Schwester Alwine die Leitung des Klosters«, bestimmte Pater Wolfhag. »Die Älteste Eurer Gemeinschaft liegt noch geschwächt danieder!«
    »Aber warum ausgerechnet …«, begann Notburga aufzubegehren.
    »Kein weiteres Wort, Schwester!«, unterbrach der Pater sie energisch. »Ich lasse noch heute eine Nachricht an unser Mutterstift in Quedlinburg schicken. Und jetzt wollen wir lieber für die Verstorbene beten, anstatt uns mit den Problemen der Lebenden zu befassen.«
    Alwine blickte in die Runde. »Gott, gib uns Kraft für den Weg, der vor uns liegt.«
    »Lasst die Glocken läuten«, forderte Pater Wolfhag Radegunde auf. »Drei Schläge mit einer langen Pause.«
    Das Zeichen für einen Todesfall in der Pfarrei erklang nicht zum ersten Mal, seit Uta in Gernrode weilte, aber nie war ihr der Dreierschlag so sehr durch Mark und Bein gegangen wie diesmal. Von Alwine gestützt, schloss Uta die Augen.
    Das Totenbett bestand aus grob gehobeltem Holz und war mit splittrigen Steintafeln eingerahmt. Alwine hatte das Büßertuch darauf ausgebreitet und Asche verstreut, bevor sie den leblosen Körper Hathui Billungs darauf bettete. Uta stand am Fußende des Totenbettes und sah zu, wie Alwine der Toten die Stiftskleidung auszog und die Schamgegend mit einem Leinenlappen bedeckte. Sie bemerkte am Geruch, dass der Salbei sich schon mit der Süße des Todes zu einer Einheit verbunden hatte.
    »Seid Ihr sicher, dass Ihr dabei sein wollt?«, wandte sich Alwine an Uta, als sie das Unterkleid der Äbtissin zusammenfaltete und auf dem bereitgestellten Hocker ablegte.
    »Ich möchte sie nicht gehen lassen, ohne mich von ihr zu verabschieden.« Uta ging langsam um das Totenbett herum. Hier lag nun der Mensch Hathui vor ihr, nicht die Äbtissin, nicht die Trösterin, nicht die Schwester. Mit ergrauten Augenbrauen, einem weit über der Stirn beginnenden Haaransatz und glattem weißem Haar, das über das Totenbett bis auf den steinernen Boden der Kammer hinabfiel. Uta zuckte zusammen, als der Unterkiefer der Toten mit einem Knacken herabsackte.
    »Ich brauche ein Buch«, sagte Alwine und schaute sich suchend in der Kammer um.
    Die Äbtissin mit dem nunmehr offen stehenden Mund und den dadurch verzogenen Gesichtszügen berührte Uta. Sie führte ihre Hand langsam an Hathuis Kinn und drückte es vorsichtig zurück an den Oberkiefer. In dieser Haltung verharrte sie.
    »Hier, das Gebetsbüchlein.« Alwine legte das Buch zwischen Hals und Unterkiefer der Toten. »Damit der Mund geschlossen bleibt«, setzte sie hinzu und löste Utas Hand vom Kinn der Toten.
    Uta blickte vom zweckentfremdeten Buch bis zu den Fußspitzen der Äbtissin hinab. Auf der Hautoberfläche erkannte sie fleckenförmige violette Verfärbungen, die farblich intensiver wurden und zusammenzufließen schienen, je länger sie darauf blickte. Noch nie war sie einem toten Menschen so nahe gewesen.
    Alwine zog einen Zuber mit warmem Wasser heran und begann, die Arme der Toten mit einem Lappen zu waschen.
    »Bitte geht vorsichtig mit ihr um«, bat Uta.
    Alwine nickte, wrang den Lappen erneut aus und säuberte die Beine der Toten. »Ihre Seele ist bereits bei den Engeln. Sie entschwindet genau dann, wenn das Herz aufhört zu schlagen. Und das hat es, als sie den Leib Christi aufgenommen hatte.« Während sie sprach, fuhr sie routiniert mit der Waschung fort.
    Uta ging um den Tisch, blieb auf Höhe des Schamtuchs stehen und betrachtete die Äbtissin. Ob der Körper der Mutter nach deren Dahinscheiden ähnlich ausgesehen hatte? Sie ergriff die Finger der Toten und drückte einen Kuss auf den Handrücken.
    Unterdessen hatte Alwine der Toten ein paar lederne Schuhe angezogen. »Jetzt streife ich ihr das Leichenhemd über den Kopf«, sagte sie. »Helft Ihr mir mit den Armen?«
    Statt einer Antwort starrte Uta die Tote nur an.
    »Uta?«
    »Ich helfe«, sagte sie schließlich.
    Sie zogen der Äbtissin ein weißes Hemd über den Kopf und über die Arme und schlangen es schließlich um ihre Knöchel. Dann trat Uta zum Oberkörper der Toten zurück und begann, deren Handrücken zu streicheln. Dabei spürte sie, wie ihre Körperwärme auf die Tote überging.
    Alwine zog einen Faden durch ein Nadelöhr und drückte Ober- und Unterlid der Verstorbenen

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