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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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damit!«, schoss Uta hoch. »Schwester Hathui lehrte uns, gottesfürchtig zu leben, mit Schleier und ohne Wollust. Der Herrgott verlangt …« Das Klopfen des Lilienstabs ließ sie mitten im Satz innehalten.
    Die anderen Sanctimonialen blickten die neue Äbtissin angsterfüllt an.
    »Niemand hat Euch erlaubt, das Wort zu ergreifen«, sagte die Äbtissin wütend und erhob sich ebenfalls. »Und niemals wieder erhebt sich jemand in diesen Mauern, solange ich sitze!« Die Sanctimonialen senkten betroffen den Kopf. Bebette und Notburga sanken auf ihre Hocker zurück. Als Uta sich anschickte, ebenfalls wieder Platz zu nehmen, wandte sich die Äbtissin ihr zu. »Und Ihr«, fauchte sie mit hochrotem Kopf, »wie heißt Ihr überhaupt?«
    Uta blickte zum Kopfende der Tafel. »Ich bin Schwester Uta.«
    »Uta wer?«, verlangte die Äbtissin zu wissen.
    »Meine Eltern sind Gräfin Hidda von der Lausitz und Graf Adalbert von Ballenstedt.« Utas Stimme klang fest, auch wenn ihr die Beine unter der Tafel zitterten.
    »So, so, eine Grafentochter aus Ballenstedt«, sagte die Äbtissin abschätzig. »Mit Euren vorlauten Bemerkungen tretet Ihr auf wie die leibliche Tochter unseres erlauchten Königs.«
    Mit einer kaum wahrnehmbaren Drehung des Oberkörpers wandte Uta sich Äbtissin Hathuis Grab zu. Eine Schmach war es, sich auf einer Feier, die dem Gedenken der Verstorbenen galt, zu streiten. Das hätte Hathui nicht gewollt. »Das war sicher nicht mein Ansinnen, Schwester Adelheid«, entgegnete sie äußerlich ruhig.
    »Äbtissin Adelheid, bitte!«
    »Äbtissin Adelheid«, wiederholte Uta.
    »Uta von Ballenstedt«, die Äbtissin verschärfte ihren Tonfall.
    »Ihr solltet zukünftig erst überlegen, wen Ihr vor Euch habt, und dann gegebenenfalls reden. Das möchte ich Euch allen hier ans Herz legen. Bisher scheint ja keine rechte Zucht in diesen Mauern geherrscht zu haben. Und nun setzt Euch wieder!«
    An die gesamte Tafel gewandt verkündete Adelheid: »Ab morgen dürft Ihr den Schleier ablegen. Das Haar lasst Euch flechten oder tragt es gebunden. Daran ist ganz und gar nichts Wollüstiges!« Mit diesen Worten wandte sie sich wieder ihren Fadennudeln zu.
    Die Sanctimonialen hielten die Blicke demütig gesenkt. Einzig Notburga und Bebette schauten immer wieder vorsichtig zum Platz der Äbtissin.
    Sie aßen zögerlich weiter.
    In Gedanken begann Uta, die Verse der Institutio Sanctimonialium zu sprechen.
    Äbtissin Adelheid durchbrach die Stille, indem sie ihren mit Schweinefleisch gefüllten Teller beiseiteschob und sich erhob.
    »Ihr«, sagte sie und zeigte mit ihrem Szepter bedrohlich auf Notburga, so dass Bebette gleichfalls zusammenzuckte, »zeigt mir die Kammer der Verstorbenen, damit ich mich dort einrichten kann.«
    »Aber der Abschlusssegen für das Totenmahl steht noch aus, Äbtissin Adelheid«, erinnerte Klara höflich an die vorgeschriebene Liturgie.
    »Das schafft Ihr auch ohne mich.« Die Kaisertochter erhob sich und schritt, begleitet vom Klopfen des Lilienszepters, zum Emporenabgang.
    Notburga folgte ihr.
    Die verbleibenden dreiundzwanzig Sanctimonialen verharrten in Andacht und im Gedenken an die Verstorbene, bis die Glocken zur Nacht läuteten. Die Nacht zum Auferstehungsfest verbrachten sie abwechselnd mit Gesängen und Fürbitten in der Stiftskirche.
    Erst lange nach Sonnenaufgang betrat Uta den Kreuzgang. Schon von weitem erkannte sie, dass die Tür ihrer Zelle offen stand. »Nicht schon wieder!« Sie erinnerte sich an die Mühe, die sie gehabt hatte, um den Dreck der Pferdeäpfel, der das gesamte Bettstroh unbrauchbar gemacht hatte, zu entsorgen und die Leinen wieder zu reinigen.
    Uta betrat die Zelle und schaute sich um: Nichts war mehr so, wie sie es an diesem Morgen vor dem Totenmahl zurückgelassen hatte: Bett, Schrank und Teppich waren verschwunden. In der rechten Ecke des Raumes, wo einst die Liege gestanden hatte, entdeckte sie ein hellgelbes Häuflein. Sie stürzte darauf zu und kniete nieder. Mit Tränen in den Augen nahm sie das Wachs liebevoll in beide Hände. Es war platt getreten und zeigte deutlich die Rillen von Klostersandalen. Uta schaute auf, als von der Wand zur Äbtissinnenkammer ein Hämmern zu ihr drang, das das Holzkreuz an der Wand erbeben ließ.
    »Lieber Gott, du machst es mir nicht leicht. Aber ich werde weiterleben und über die Steine hinwegsteigen, die mir in den Weg gelegt werden. Liebe Mutter«, Uta blickte mit einem zärtlichen Lächeln auf das Wachs, »ich trage Euch fest in meinem

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