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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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zwischen Daumen und Zeigefinger zusammen.
    Uta hielt in ihrer Bewegung inne. »Wozu?«, fragte sie irritiert ob Alwines Tun.
    »Ich muss ihr die Lider zunähen, damit ihre Seele nicht in den Körper zurückfahren kann«, erklärte die Krankenschwester, zog die zusammengepressten Lider nach vorne und setzte mit der Nadel den ersten Stich. Als sie ihre Arbeit vollständig verrichtet hatte, bestrich sie Hathuis Gesicht mit Branntwein.
    »Sie ist jetzt bereit.« Mit diesen Worten legte Alwine den Pinsel beiseite und schlug das Büßertuch über die Beine der Äbtissin.
    Uta legte die Hand der Toten zurück auf deren Brust und ging ans Kopfende des Totenbettes.
    Alwine trat neben sie und faltete die Hände. »Lieber Herrgott im Himmel, nimm Schwester Hathui in Dein seliges Reich auf. Versprich uns, sie zu beschützen, damit wir sie bei unserem Eintritt ins Jenseits so wiedertreffen, wie wir sie hergeben mussten. Amen.«
    Uta fühlte sich bereit und ergänzte leise und zärtlich. »Lieber Herrgott, bitte beschütze auch meine Mutter, Gräfin Hidda von der Lausitz.« Sie sah das Bild der geliebten Mutter vor sich. »Schenke ihrer Seele ewige Ruhe und leuchte ihr mit Deinem ewigen Licht. Hier unten war sie stets das meinige.« Tränen liefen ihr die Wangen hinab, doch sie zwang sich, die so lange vermiedenen Worte endlich auszusprechen. Uta sank auf die Knie und schaute zum Himmel: »Liebste Mutter, ruht in Frieden.«
    Unter der Führung Pater Wolfhags wurde der in das Büßertuch eingewickelte Leichnam in die Klosterkirche getragen. In der Mitte des Hauptschiffes hatte man die Bahre abgesetzt, Lichter darum herum entzündet und die Totenwache mit Gebeten, Gesängen und Gedichten abgehalten. Zwei Tage hatte Uta ununterbrochen – mit Ausnahme der Stundengebete – die Hand der Äbtissin gehalten und dabei Abschied von zwei Frauen genommen.
    Am dritten Tag der heiligen Woche war sie heillos erschöpft, hatte sie doch seit Beginn der Totenwache nicht mehr geschlafen. Übermüdet erhob sie sich und machte sich auf den Weg in ihre Zelle. Dabei klangen ihr wieder die Worte der Äbtissin im Ohr: Traut Euch, sie loszulassen und neue Wege zu gehen. Die Bücher mögen Euch dabei helfen. In ihrem letzten Gebet an diesem Tag bat sie auf dem Gang darum, dass die Nachfolgerin Hathuis, die sich für morgen zum Totenmahl angesagt hatte, ebenso verständnisvoll sein würde.
    Als Uta die Tür ihrer Zelle öffnete, vernahm sie ein Tuscheln hinter sich.
    »Für unsere Pferdebraut ein ganz besonderes Geschenk!« Den Worten folgte gehässiges Gelächter.
    Flüchtig erinnerte Uta sich an eine ihrer ersten Unterweisungsstunden, in der die Hildesheimerinnen sie Pferdebraut geschimpft hatten, ignorierte die beiden Mädchen dann aber und betrat ihre Zelle. Beim Anblick ihrer Bettstatt erstarrte sie: Das obere Leinen war übersät mit stinkenden, großen Pferdeäpfeln, deren einst hellgelbe Farbe während der vergangenen Tage eine braune, krustige Patina angenommen hatte. Fliegen surrten um ihre Nase, und beim nächsten Atemzug bekam sie einen heftigen Hustenanfall. Mit spitzen Fingern hob sie das Bettleinen an und knotete es zu einem Bündel zusammen. »Bevor ich meine Antwort nicht gefunden habe, bekommt ihr mich nicht klein«, sagte sie gefasst und setzte sich gleich darauf vor die Bettstatt. Sie musste unbedingt die Bücher in der Schreibstube lesen, und davon, dessen war sich Uta sicher, vermochte sie weder der Hass noch der Neid ihrer Mitschwestern abzuhalten. Am Kopfende der Bettstatt zog sie unter dem Kissen ihre Wachspuppe hervor und drückte sie fest an ihre Brust. »Ich werde dafür sorgen, geliebte Mutter, dass Euch Gerechtigkeit widerfährt!«
    1  Zitat aus: Walahfrid Strabo: Liber de cultura hortorum / Über den Gartenbau, Hrsg.: Schönberger, Otto, erschienen 2002 im Reclam-Verlag, S. 11
    2  Zitiert aus: Institutio Sanctimonialium, http://www.geldria-religiosa.de , Kapitel VI. – Aus der Schrift des heiligen Bischofs Athanasius an die Bräute Christi.

3. AUS DREI MACH NEUN
    Auf der Empore der Stiftskirche wurden an einer Tafel Fadennudeln mit Hühnerfleisch, dazu in zerlassener Butter gedünstete Petersilie und Schweinefleisch mit Walnüssen in Rotweinsoße gereicht. Die neue Äbtissin, die auf den Namen Adelheid getaufte Tochter des einstigen Kaisers Otto II ., nahm am Kopfende der Tafel Platz. Ihre zweiundvierzig Lenze offenbarten sich in ihrer gelblich schlaffen Haut und den dünnen roten Haaren, die unter einem Schmucktuch

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