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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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wusste Radegunde.
    »Woher wisst Ihr das?«
    »Ich las es in einem der Bücher hier.« Radegunde deutete auf den Tisch vor sich. »Auf den Erörterungen über die Verkündung von königlichen Gesetzen hatte sich Schimmel festgesetzt. Ich habe zwei ganze Tage dafür benötigt, ihn abzuschaben, ohne die Buchstaben dabei zu beschädigen.«
    »Und welches Buch war das?«, fragte Uta ungeduldig. Obwohl sie sich oft in der Schreibstube aufhielt, hatte sie bisher keine Zeit gefunden, in die Bücher, die sie archivierte und säuberte, hineinzulesen.
    Radegunde hob bedauernd die Schultern. »Ich habe so viele Flecken beseitigt. Inzwischen erscheint mir ein Buch wie das andere.«
    Doch Utas Herz hatte längst beschlossen, was ihr der Verstand nun riet: Sie würde die Äbtissin um Rat fragen, sie bitten, ihr das Buch über die Gerichtsbarkeit zu nennen, auch wenn sie sich ihr dafür offenbaren musste. Hathui Billung hatte ihr vertraut und ihr eine heilsame Aufgabe übertragen. Zunächst aber galt es, den eiligen Auftrag – die Abschrift – zu erstellen. Sie fühlte, wie das Blut in ihren Schläfen pulsierte und ihre Hände vor Aufregung feucht wurden. Uta ergriff den Kiel, nässte ihn im Tintenfass und begann, das leere Pergament zu beschreiben. Nach jedem Wort schaute sie erneut auf die Vorlage und prägte sich die Form des nachfolgenden wie ein Bild ein.
    Am Ende der ersten zwei Zeilen angekommen, betrachtete sie ihr Gesamtwerk und erschrak. Ihre Buchstaben hatten so wenig mit denen der Vorlage gemein wie sie selbst mit den Hildesheimer Schwestern. Der Abstand der Unterlängen in der ersten Zeile von den Oberlängen der zweiten war so gut wie nicht mehr vorhanden. Uta setzte erneut an – das gleichmäßige Schreiben war bei weitem schwieriger, als sie gedacht hatte.
    Nach der ersten Seite riefen die Glocken der Stiftskirche zum Abendmahl. Es war das Mahl vor Beginn der heiligen Woche, die mit dem Fest zur Auferstehung des Herrn ihren Höhepunkt fand.
    »Schon Zeit zum Speisen?«, fuhr Uta erschrocken auf.
    »Dann lasst uns die Arbeit beenden und in den Saal gehen«, schlug Radegunde vor und zog Uta hinter dem Schreibpult hervor.
    Schwester Griseldis, die Jüngste der Gemeinschaft, stand auf dem Podest und schlug die Institutio Sanctimonialium auf. Notburga und Bebette saßen bereits an ihren Plätzen und grinsten sich an, als Uta und Radegunde im Speisesaal erschienen.
    »Die ins Kloster eingetreten sind, sollen nicht träge sein und müßig gehen«, tonierte die Leserin zaghaft zwischen verhaltenem Tellergeklapper. »Sie sollen sich nicht dem vertraulichen Geschwätz und der üblen Nachrede hingeben, sondern Psalmen singen oder eifrig mit ihren Händen arbeiten oder in jedem Fall ihr Ohr der göttlichen Lesung widmen.« 2
    Uta kannte die Regeln der Institutio inzwischen auswendig, aus der zu jeder Mahlzeit eines der achtundzwanzig Kapitel verlesen wurde. Einige Schwestern fielen bedächtig in den Wortlaut mit ein, nachdem sie die Nahrungsaufnahme beendet hatten.
    Alwine ging bereits zur Fleischration auf ihrem Teller über, als Uta noch immer geistesabwesend in ihrer Graupensuppe rührte. Sie dachte über Radegundes Äußerung nach und wie sie die Äbtissin um Rat fragen könnte, ohne das schreckliche Geheimnis ihrer Familie offenbaren zu müssen.
    »Sie schaut die letzten Tage sehr müde aus«, flüsterte Alwine Uta zu und deutete mit dem Kinn zur Mitte des Tisches. Die Äbtissin, gewöhnlich mit dem Gehör einer Fledermaus ausgestattet, schaute schweigend in die Runde und bedachte jede ihrer Sanctimonialen mit einem liebevollen Blick. Alwine senkte glücklich den Kopf, als Hathui sie mit einem Lächeln bedachte.
    »Ah!« Bebettes Aufschrei hallte durch die klösterlichen Mauern. Der Körper der Äbtissin war geräuschlos gegen ihre Schulter gekippt. Ihren Kopf hatte sie an den ihres Zöglings angelehnt, die Arme zu beiden Seiten des Tellers ordentlich abgelegt, um die Nahrungsaufnahme im nächsten Augenblick fortzusetzen.
    Schwester Griseldis stellte die Lesung ein. Niemand rührte sich. Suppe tropfte von Löffeln, und die letzten Regentropfen eines Gewitters prasselten auf das Klosterdach.
    Erschrocken sprang Uta auf: »Die Äbtissin braucht Hilfe!« Neben ihr schoss Alwine hoch und eilte zu Hathuis Tischplatz. Unter den unsicheren Blicken der anderen Sanctimonialen beugte sie sich über die Äbtissin. »Bewegt Euch nicht!«, bat sie die zitternde Bebette. Dann feuchtete sie die Hand an und hielt sie der Äbtissin vor

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