Die Herrin der Kathedrale
Suche war ein Geheimnis, das sie niemandem anvertrauen wollte. Auch wenn dessen Lösung gerade in unendlich weite Ferne gerückt zu sein schien.
Klara deutete auf die Feder und das Tintenfass auf dem Pult und meinte: »Die Äbtissin wünscht, dass Ihr Schreibzeug mitbringt.«
Uta nickte. »Vorher brauche ich jedoch noch etwas frische Luft, entschuldigt mich kurz.«
»Ihr dürft jetzt gehen, Schwester Bebette. Ihr habt gute Fortschritte im Schreiben gemacht.« Äbtissin Adelheid nickte dem Mädchen zu.
»Es war mir ein Vergnügen, werte Äbtissin«, bestätigte Bebette und schritt naserümpfend an Uta vorbei, die in die Tür getreten war und nun auf eine Anweisung wartete.
»Kommt näher, Uta von Ballenstedt«, forderte die Äbtissin, die ein blaues Seidengewand trug, das mit einer goldenen Borte um den eckigen Halsausschnitt herum verziert war.
Uta trat vor den Schreibtisch. Ihr Herzschlag hatte sich wegen des gelesenen Gesetzeskommentars noch immer nicht beruhigt. Ein Weib allein sei nicht rechtsfähig!
»Ist das von Euch?« Die Äbtissin erhob sich hinter dem Schreibtisch und trat mit einem Pergament in der Hand vor Uta.
Die erkannte, dass das Pergament, das ihr Adelheid anklagend vors Gesicht hielt, mächtig gelitten hatte. »Ja, die Zeilen stammen aus dem Hortulus «, sagte sie. »Von der Pflege der Gärten.« Sie hatte sie zuletzt in Alwines Krankenkammer an der Wand gesehen. Alwine interessierte sich zunehmend mehr für ihr unbekannte Heilmethoden und neue Wundmittel, und sobald Uta beim Lesen diesbezüglich auf möglicherweise Neues stieß, berichtete sie Alwine davon.
»Ihr schreibt einigermaßen lesbar«, stellte die Äbtissin fest und ließ das Pergament sinken. »Und deswegen wünsche ich, dass Ihr einen Brief für mich schreibt. Mein Schreiber aus Quedlinburg kommt erst zum Fest der Verklärung Jesu wieder an diesen abgelegenen Ort. Ich benötige die Breve aber noch heute. Setzt Euch dorthin!«, befahl sie und wies auf ein niedriges Tischchen an der Wand, das einem Gebetsbänkchen glich.
Uta legte die Schreibutensilien auf dem Boden ab und kniete sich so vor dem Bänkchen nieder, dass es ihr möglich war zu schreiben. Beim Schreiben arbeitet der gesamte Körper!, hörte sie Hathuis Worte wieder in ihrem Kopf, und gleichzeitig fühlte sie sich in der früheren, nunmehr erweiterten Kammer der Verstorbenen nicht mehr wohl.
»Schreibt!«, sagte die Äbtissin und trat hinter ihren Tisch, um sich bequem auf ihrem Stuhl einzurichten. »Hochverehrte Äbtissin, hochverehrte Schwester Sophie.«
Mit schwitzenden Händen wölbte Uta das Pergament, damit es auf dem schmalen Bänkchen Platz fand. Sollte eine Frau wirklich nicht selbst für Gerechtigkeit eintreten dürfen?, ging ihr dabei wieder durch den Kopf. Nichts anderes hatte das Buch aber doch gesagt!
Die Äbtissin diktierte. »Ich danke Euch für die Information, dass der Kaiser gedenkt, auf unsere Unterstützung zu setzen.«
Uta wollte gerade die Feder nässen, als sie das Tintenfässchen mit dem Knie umstieß.
»Schreibt Ihr?«
Uta schaute zur Äbtissin hinüber. Schnell stellte sie das Fässchen wieder auf, schob die Beine über den Tintenfleck auf dem Boden und nässte den Kiel erneut. »Ja«, bestätigte sie und brachte die Tinte auf die Tierhaut.
»Schreibt weiter«, fuhr die Äbtissin fort. »Ich wünsche, dass Ihr zum Fest des heiligen Augustinus in mein Stift Quedlinburg reist und gemeinsam mit mir den Kaiser unterstützt.« Des Weiteren setzte sie die Schwester in Gandersheim von ihren Reisen sowie über das letzte Hoffest und dessen Beschlüsse in Kenntnis. Nachdem Äbtissin Adelheid auch noch die salbungsvollen Schlussworte diktiert hatte, trat sie neben das Gebetsbänkchen und begutachtete mit einem Seitenblick das beschriebene Pergament und die kniende Sanctimoniale zu ihren Füßen. Sie überlegte kurz und sagte dann: »Ich wünsche, dass Ihr mich zu besagtem Treffen nach Quedlinburg begleitet. Ich gedenke, mich dort zu beraten, stellvertretend für alle anderen Äbtissinnen im Reich.«
Uta ließ den Federkiel sinken. Sie sollte mit nach Quedlinburg reisen? Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Einerseits wäre die ständige Gesellschaft der Äbtissin sicherlich keine Freude für sie, andererseits reizte sie die Welt außerhalb der Klostermauern.
»Ihr begleitet mich als eine der Schreiberinnen, die die Gespräche protokollieren.« Ein Gespräch, wie Adelheid es in Quedlinburg zu führen beabsichtigte, wäre ohne detailgetreue
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