Die Herrin der Kathedrale
des Klosterhofes führten die Pferde gerade vor, gaben ihnen noch eine Frühportion Hafer und legten ihnen dann das Sattelzeug an. Für die Reise nach Quedlinburg bestand Äbtissin Adelheids Gefolge aus zehn mit Hellebarden bewaffneten Schutzmannen sowie einigen Dienerinnen.
Ein Klosterknecht half Uta, auf eine gefleckte Stute aufzusitzen. Wenn auch etwas ungelenk, richtete sie sich mit einem angenehmen Gefühl auf dem Pferderücken auf. Ihr letzter Ritt war der von Ballenstedt zurück nach Gernrode gewesen, nachdem sie vom Tod der Mutter erfahren hatte. Dieser grausame Tag lag inzwischen eineinhalb Jahre zurück. Uta atmete tief durch und spürte kribbelnde Erwartung in sich aufsteigen.
Die Schutzmannen ergriffen die Hellebarden, als Äbtissin Adelheid den Hof betrat.
Uta seufzte still, als sie Notburga entdeckte, die hinter der Äbtissin herlief. Sofort empfing sie von ihrer Mitschwester einen abwertenden Blick, der sie dafür zu tadeln schien, Bebette den begehrten Platz als zweite Schreiberin weggenommen zu haben. Nur am Rande nahm Uta Notburgas aufwendige Flechtfrisur wahr, für die deren Dienerin sicherlich einen Großteil des Morgens hatte lassen müssen.
Äbtissin Adelheid brummte ein kurzes Morgengebet, welches ihrer Ansicht nach den üblichen Morgengottesdienst mehr als ausreichend ersetzte, umklammerte das Lilienszepter und gab dem Zugführer das Zeichen, seine Leute zu sammeln.
»Euer Psalmenbuch, Äbtissin Adelheid«, beugte Uta sich vom Pferderücken hinab und streckte der sichtlich Verschlafenen, der das rote Haar noch wirr in die Stirn hing, das Pergamentbündel entgegen.
Die Äbtissin hatte Mühe, ihre Überraschung zu verbergen.
»Gebt es dem Knecht«, sagte sie nun etwas wacher. »Ich werde es nach meiner Rückkehr prüfen.«
Enttäuscht ließ Uta den Arm sinken und reichte dem Herbeieilenden das Werk einiger schlafloser Nächte.
Der Tagesritt nach Quedlinburg wurde bereits nach wenigen Schritten von warmem Nieselregen begleitet. Bis zu den Ellbogen schob Uta die Ärmel ihres Untergewandes hinauf, um die feinen Tropfen auf ihrer Haut zu spüren. Es fühlte sich wie Streicheleinheiten an. Ihre Gedanken verloren sich erneut in der sonderbaren Kommentierung der kaiserlichen Gesetze. Frauen waren nicht rechtsfähig, benötigten für eine Anklage denjenigen, der die Muntgewalt über sie ausübte! Der Vater kam als Ankläger nicht in Frage, so viel stand fest. Was für ein unsinniges Gesetz, wenn ausgerechnet der Inhaber der Muntgewalt derjenige war, der angeklagt werden sollte! Konnte sie die Muntgewalt nicht an jemand anders übertragen, der ihr zur Gerechtigkeit verhalf? Uta grübelte. Esiko, der Bruder, kam nicht in Frage, solange der Vater lebte. Nur falls der Vater stürbe und sie selbst unverheiratet bliebe, würde Esiko ihr Munt sein. Zu seinen Lebzeiten aber müsste der Vater, würde sie einmal heiraten, die Muntgewalt auf ihren Ehemann übertragen! Uta schauderte bei dem Gedanken, dass sie einen Gatten benötigen würde, damit der für ihr Anliegen vor dem Kaiser eintrat. Unschlüssig blickte sie dabei zu Notburga, die vor ihr ritt.
Als sie zur Mittagszeit die erste Rast einlegten, war sie sich sicher, dass eine Ehe und damit das Versprechen, einem Mann bis ans Lebensende zu dienen, nicht der einzige Weg zur Gerechtigkeit sein konnte. Diese musste auch noch auf andere Weise herzustellen sein.
Noch vor Einbruch der Dämmerung bot sich der Reisegesellschaft ein herrlicher Blick auf die Siedlung im Quedlinburger Tal. Uta schien der Stiftsberg mit seinen zwei Türmen und den Flachgebäuden in der Abendsonne wie ein Edelstein auf einer Krone zu glänzen. Die späte Sonne ließ den Sandsteinfelsen, der den Stiftsbau stützte, hell aufleuchten. Beeindruckt von diesem Bild vermochte sie den Blick nicht von der Siedlung zu lösen. Alleine dafür hatte sich die Reise gelohnt.
»Wir haben es nicht mehr weit, Schwestern. Vor Euch seht Ihr mein Stift«, erklärte die Äbtissin und zeigte auf die Erhebung, die Uta noch immer bestaunte. »Gleich daneben«, die Äbtissin deutete auf eine zweite, aber kleinere Erhebung im Tal, »seht Ihr das benachbarte Benediktinerinnenkloster, das genauso wie unser Stift an die kaiserliche Pfalzanlage grenzt.«
»Oh, ja«, bestätigte Notburga und begann an Uta gerichtet, die Regeln des heiligen Benedikt zu erläutern. Doch Adelheid unterbrach ihren Redeschwall kurz darauf. »Wegen der anbrechenden Dunkelheit ist es am besten, den Weg am Südhang zu nehmen. So
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