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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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Uta spazierte neben der Herzogin über eine große Grasfläche und sog den Duft von Veilchen ein.
    »Ist das nicht wunderbar? Die Gärtnerknechte haben alles ganz genau nach meinen Vorgaben angelegt«, zeigte sich die Herzogin erfreut.
    Uta erblickte einen Wasserquell, der mittig im Garten entsprang. »Es ist außergewöhnlich hier, Hoheit.« Außer der Pergamentenkammer gab es wohl kaum einen anderen Ort innerhalb der Wehrmauern, der so ruhig war wie dieser an den Außenmauern der Burg liegende Garten und jegliches Lärmen – das Hufgeklapper und die Bauarbeiten zur Erweiterung der Burganlage – in eine andere Welt verwies.
    »Ich gedenke von nun an, mehr Zeit hier draußen zu verbringen.« Die Herzogin ließ sich auf einer Rasenbank am Ende des Gartens nieder und wies Uta an, neben ihr Platz zu nehmen. »Die frische Luft vermag sicherlich, so manchen unserer Gedanken zu beflügeln.«
    Uta musterte die ihr angebotene Sitzgelegenheit verlegen. Sie hatte noch nie auf einer Bank gesessen, deren Sitzfläche aus Rasen bestand und in deren Rücken Pflanzbeete mit würzig duftender Pfefferminze aufwarteten.
    »Traut Euch«, forderte die Herzogin sie auf.
    Daraufhin ließ Uta sich nieder und schlug das mitgebrachte Buch auf. »Ihr wünschtet, dass wir am heutigen Tage etwas Leichteres lesen als sonst, Hoheit.« Die kleine Abwechslung kam Uta gelegen, denn seit der ersten Lesung vor gut einem halben Jahr, während deren ihr Gisela erklärt hatte, dass gute Kenntnisse über den Aufbau und die Organisation der christlichen Religionsgemeinschaft in einem funktionierenden Reichskirchensystem unentbehrlich für einen Herrscher seien, widmeten sie sich überwiegend den von Burkhard von Worms gesammelten Verfügungen.
    »Habt Ihr das Buch des Abtes Walahfrid, den Hortulus, noch rechtzeitig erhalten?«, fragte Herzogin Gisela.
    Uta schlug das angeforderte Buch auf. »Die Abschrift ist gestern eingetroffen, Hoheit.«
    »Dann wollen wir uns heute der Leichtigkeit der Natur widmen«, sagte die Herzogin und lehnte sich entspannt zurück.
    »Von der Pflege der Gärten«, begann Uta zu lesen und lächelte glücklich. »Unter sehr vielen Zeichen des ruhigen Lebens ist es nicht das Geringste, wenn sich einer der Kunst der Stadt Paestum weiht und es versteht, die sorgsame Gartenpflege des garstigen Gottes Priapus zu üben.« 6
    »Paestum, sagt Ihr?«
    »Die Stadt war vor vielen hundert Jahren für ihre Rosen berühmt«, erklärte Uta.
    »Dann lasst mich von den Rosen hören.«
    Beim weiteren Lesen betonte Uta die von Abt Walahfrid mehrmals gelobte Purpurfarbe der Rosen, indem sie das Wort ganz langsam vorlas. Das hatte sie sich von Mechthild abgeschaut, die Texte so außergewöhnlich vortrug, dass sich ihre Zuhörerinnen an eben jenen Ort versetzt fühlten, von dem Mechthild gerade erzählte.
    Zuletzt hatte Uta sich wie eine Heimgekehrte aus dem Hildebrandslied gefühlt, das Mechthild zu manch müßiger Stunde an lauschigen Kaminabenden deklamierte. Dabei vermochte es das Mädchen, die Stimme in einem Moment tiefrauh und männlich und im nächsten Moment wieder weich wie die eines Engels erklingen zu lassen. »Der Rose gegenüber bieten die ruhmreichen Lilien ihre Blüten dar, deren atmender Duft die Lüfte noch weiter durchdringen« 7 , fuhr Uta über das Buch gebeugt fort und sah aus dem Augenwinkel, wie die Herzogin einen Pfefferminzstengel aus dem Beet hinter sich abzupfte.
    »Die Lilie, sagtet Ihr?«
    Auf diese Frage hin blickte Uta auf.
    »Entschuldigt.« Gisela ließ von der Pflanze ab. »Ich bin wohl doch zu abgelenkt heute.«
    Die Herzogin wechselte das Thema. »Ihr lest gerne und viel, nicht wahr?«
    »Sehr gerne«, bestätigte Uta. »Wenn ich den Hortulus lese, meine ich den Duft der Pflanzen wahrnehmen zu können. Dann schließe ich die Augen und sehe ihre leuchtenden Farben hinter den Buchstaben hervortreten – die der Scharfgarbe, des Salbei und der Betonie.«
    »Ich möchte Euch etwas fragen, Uta«, sagte die Herzogin plötzlich ernster.
    Uta meinte, einen dunklen Schatten im Gesicht der Herzogin auszumachen, und klappte daraufhin das Buch auf ihrem Schoß zu.
    »Eine Vertraute bat mich kürzlich um Rat«, begann die Herzogin. »Bezüglich einer vermeintlichen Nah-Ehe, über die schon seit etlichen Jahren gestritten wird. Kernstück des Streits ist die zu nahe Verwandtschaft zwischen Irmingard von Verdun und ihrem Gatten, Graf Otto von Hammerstein. Erzbischof Erkanbald von Mainz und dessen Nachfolger Aribo haben auf

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