Die Herrin der Kathedrale
war Erzbischof Aribo von Mainz, der die Hofkapelle leitete und das Herrscherpaar von nun an auf all seinen Reisen durch das Reich begleiten würde. Das restliche Gefolge bildeten Bischöfe, Äbte, Herzöge und Markgrafen, die zeitweilig an den Herrschaftsakten teilnahmen und den König zur Beratung und zu Verhandlungen begleiteten. Hinzu kam Königin Giselas eigener Hof, der hinter dem des Königs ritt und dem ebenfalls Bittsteller, berittene Beschützer, Hofdamen und einige Geistliche angehörten.
Die fünf Hofdamen hielten sich mit ihren Stuten immer in der Nähe ihres Wagens auf, der die Kisten mit ihren Habseligkeiten beherbergte. Uta verwahrte darin ein paar Gewänder, zwei Paar Schuhe und ihre Schreibutensilien auf. Sie fand, dass der Zug einer unförmigen Schlange ähnelte, die ihre Form mit jedem Tag und jeder neuen Landschaft veränderte. Als Hofdame ritt sie zwar einige Karren hinter der Königin, aber selbst diese, dessen war sich Uta sicher, vermochte beim Durchqueren eines Tales nicht mehr den Anfang des Zuges zu sehen. Zwischen Königin Gisela und ihrem Gatten bewegten sich ganze Herden von Versorgungs- und Schlachtvieh, unzählige Ochsenkarren, Fuhrwerke und eine Kette von Bewaffneten, die den Zug im Abstand von wenigen Schritten wie ein Schutzschild flankierten.
Uta gefielen die Tage hoch zu Ross, während die anderen Hofdamen das lange Reiten nicht gewohnt waren. Schon nach den ersten Tagen klagten sie über Schmerzen am Hinterteil und am Rücken, obwohl sie selten schneller als in Schrittgeschwindigkeit vorankamen. Uta mochte es, wenn der Königshof mit Jubel in den Städten des Reiches begrüßt wurde. Die prächtigen Herrscheradvente entschädigten auch die von Schmerzen geplagten anderen Hofdamen, denn die feierliche Einholung des Königs in eine Stadt, die er als solcher noch nie betreten hatte, war stets ein imposantes Ritual, bei dem es sich auch Königin Gisela nicht nehmen ließ, das ein oder andere Mal prächtig gekleidet an der Seite ihres Mannes und auf gleicher Höhe mit Erzbischof Aribo einzureiten.
Gisela war sich sicher, dass sie bereits beim Umritt ihre Stellung demonstrieren und eine der nachfolgenden Reihen wie noch bei der Krönungszeremonie nicht mehr akzeptieren wollte. Vor den Herrschern des Reiches, und das waren vor allem die Erzbischöfe und Bischöfe, trat sie als gewichtige Beraterin ihres Mannes auf; bei der Neubesetzung vakanter Bistümer und Reichsabteien würde sie von nun an mitreden. Bereits beim Einritt in den südwestlichen Zipfel des Herzogtums Sachsen hatte der Tross seine feste Struktur gefunden. Seine Versorgung funktionierte reibungslos, ein jeder kannte seinen Platz. Dennoch kam der Königszug an diesem Tag nur langsam voran, da er unbesiedeltes Land mit schlecht befestigten Wegen durchquerte.
Der Tross hatte Köln vor einem Mondumlauf verlassen, und Uta bot sich zum ersten Mal die Möglichkeit, wieder mit Erna zu sprechen. Die war inzwischen ein fester Bestandteil des königlichen Küchenpersonals geworden und damit eine von zwei Dutzend Personen, die für die Verpflegung außerhalb der Klöster, Abteien oder Bischofsresidenzen zuständig waren.
Uta gab Adriana neben sich ein Zeichen und ließ ihre Stute ans Ende des Zugs zurückfallen, wo sie das Gesinde vermutete. Als sie die Küchenkarren erreichte, sprang sie vom Pferd, band es am letzten Karren fest und lief neben den hintereinandergereihten Wagen her, die jeweils mit grobem Stoff überspannt waren, der die Vorräte vor Wind und Wetter schützte. Uta spähte durch die hintere Öffnung in die Karren hinein, um ihre Freundin zu finden. Beim vordersten Wagen angekommen, der mit Getreidesäcken bepackt war, entdeckte sie schließlich Erna, die es sich auf einer Kiste mit einem Eimer Kartoffeln bequem gemacht hatte.
»Hilf mir schnell hoch!«, rief sie Erna zu.
»Uta?« Die Magd benötigte einen Augenblick, um sich von ihrer Überraschung zu erholen. »Aber wir fahren noch. Das ist gefährlich. Du beschmutzt dein gutes Gewand.«
»Nun mach schon, oder möchtest du, dass ich noch länger hinter dem Wagen herlaufe?«, entgegnete Uta forsch, raffte ihr Kleid und setzte an, auf das Trittbrett am hinteren Ende des Karrens zu steigen. Dabei fiel ihr Blick auf den Bauern, der den Karren lenkte und sie mit gesenkter Peitsche anstarrte. Als sie seinen Blick erwiderte, wandte er sich peinlich berührt wieder nach vorne.
Erna zog sie mit der Hand hinauf, um ihr gleich darauf die Gewänder, die beim Aufsteigen
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