Die Herrin der Kathedrale
Duzen übergegangen war.
Uta schüttelte den Kopf. So verächtlich wie Esiko über die Mutter gesprochen hatte, wollte sie ihn vorerst überhaupt nichts mehr fragen.
»Niemand hat diese Brücke bisher lebend verlassen«, fuhr Mechthild fort.
»Das ist schaurig«, flüsterte Adriana. »Selbst Könige überwanden sie nicht?«
Enttäuscht ließ Elisabeth von Uta ab und hob den Kopf. »Das ist doch nur ein Schauermärchen. Sicherlich gibt es Kämpfer, die eine Kettenbrücke überqueren können.« Sie strahlte bei diesen Worten, als ob sie einen von ihnen gerade vor Augen hätte.
Da meldete sich Grete: »Meint ihr, dass die Brücke der Grund dafür ist, dass wir über den Pass der Breonen ziehen?«
»Natürlich«, bestätigte Mechthild. »Sie würden den König doch niemals in den sicheren Tod schicken.«
»Vielleicht wäre der Seeweg eine Alternative«, schlug Adriana vor. »Dann würden wir erst gar keine Schluchten überqueren müssen.«
»Nein«, entgegnete schließlich Uta, und die Mädchen schauten sie erwartungsvoll an. »Trotz aller Gefahren ist es immer noch einfacher, über das Hochgebirge zu ziehen, als den gefährlichen Seeweg nach Italien zu nehmen. Auf welchem Pass befindet sich denn diese Brücke, Mechthild?«
Die Angesprochene überlegte. »Sie könnte auf dem Pass über den Cenis sein. Aber so genau hat der Kaufmann das nicht erzählt. Wie viele Pässe gibt es denn überhaupt?«
Uta spürte, wie Elisabeth sie erneut anstupste und ihr ins Ohr kicherte. »Könntet Ihr Euren Bruder nicht doch …«
»Nein, das geht nicht«, bekräftigte Uta und vernahm dabei Esikos Stimme: Gerechtigkeit muss nur dann hergestellt werden, wenn zuvor Unrecht geschah. »Er würde Euch sowieso nur unglücklich machen«, setzte sie erklärend nach.
»Mich unglücklich machen?«, fragte Elisabeth verständnislos und ließ mit einem tiefen Seufzer den Kopf sinken.
»Ich glaube, die Pässe sind über die gesamte Breite der Alpen verteilt«, erklärte Grete, die hinter Elisabeth vorlugte.
»Der Pass über den Jupiterberg liegt in den Westalpen«, wandte sich Uta von Elisabeth ab. »Der südlichste Pass führt über den Cenis in den französischen Seealpen. Dann gibt es noch den Pass über die Zentralalpen. Ich habe die Routen neulich auf einer alten Karte entdeckt.« Bei diesen Worten vernahm Uta, dass Elisabeth schluchzte. »Der Pass der Breonen in den Ostalpen ist aufgrund seiner geringen Höhe beinahe ganzjährig passierbar und weniger kalt. Auch der große Kaiser Otto soll ihn und keinen anderen schon mehrmals genutzt haben.«
Die anderen Mädchen nickten zustimmend.
Als das Schluchzen noch immer nicht verstummte, drehte sich Uta unter ihrem Pelz zu Elisabeth um und strich ihr tröstend über die Wangen.
Elisabeth schaute Uta mit nassen Augen an. »Es ist …«, weiter kam sie jedoch nicht, sondern weinte wieder.
»Wegen meines Bruders?«, fragte Uta leise.
Elisabeth nickte. »Ich glaube, die Königin hat andere Pläne mit mir. Eine Ehe mit einem burgundischen Grafen plant sie.«
»Sie will Euch verheiraten?«, fragte Uta überrascht.
»Ich bin schon im zwanzigsten Lebensjahr«, entgegnete Elisabeth schniefend.
Die Königin macht also doch Heiratspläne für uns, ging es Uta durch den Kopf. Seitdem sie den Karren nicht mehr ohne ein Buch unter dem Arm verließ, hatte sie dieses Thema verdrängt, obwohl Ernas von der Königin im Herbst ausgerichtete Hochzeit ein schönes Fest gewesen war. Nun kamen ihr die Worte Hathuis wieder in den Sinn, die ihren Auftrag darin gesehen hatte, ihren Sanctimonialen neben den Gottesdiensten beizubringen, einem Adligen eine wünschenswerte, vorzeigbare Partnerin zu sein.
»Eine Heirat?« Adriana setzte sich im Bett auf. »Wer?«
»Aber ich liebe doch nur ihn!«, beteuerte Elisabeth.
Die anderen Hofdamen verstummten angesichts dieses Geständnisses.
Uta nahm Elisabeth in den Arm. »Aber vielleicht gefällt Euch der burgundische Graf besser.«
Die kräftig gebaute Elisabeth wiegte sich in Utas Armen wie ein Kleinkind. »Wenn er frei wäre, könnte die Königin mich ihm versprechen.«
»Ihr würdet Graf Esiko heiraten wollen?«, fragte Mechthild, halb entsetzt, halb erfreut.
Unter Tränen nickte Elisabeth.
Der Anblick der leidenden Freundin erweichte Utas Herz.
»Dann frage ich die Königin, wie es um die Werbung meines Bruders steht, versprochen.«
»Aber jetzt lasst uns schlafen.« Adriana beugte sich zu ihnen hinüber. »Der Morgen ist klüger als der Abend.«
Die
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