Die Herrin der Kelten
auf, und auch der Römer hatte seine Haltung verändert. Er lag nun mit dem Rücken gegen eine kleine Bodenerhebung gelehnt, seine Finger locker hinter seinem Kopf verschränkt, und starrte mit grimmiger Faszination zu einer Krähe hinüber, die nur einen Speerwurf von seinen Füßen entfernt über das Gras hüpfte. Während Bán zuschaute, hackte der Vogel mit seinem Schnabel in einen Haufen verrottenden Pferdemists und zog einen Wurm daraus hervor.
»Scheuch sie weg.« Bán hob gerade seinen Arm, um sein Grasbüschel nach ihr zu werfen.
»Nein. Lass sie.« Der Römer lag plötzlich ganz starr da. An seinen Schläfen bildeten sich kleine Schweißtropfen, die in dünnen Rinnsalen in den Halsausschnitt seiner Tunika hinunterrannen. Um seinen Mund lag ein angespannter Zug, und seine Zähne waren so fest zusammengebissen, dass die Muskeln an seinem Hals hervortraten. Zum ersten Mal zeigte sich für Bán ein erkennbarer Ausdruck der Angst auf dem Gesicht des Römers, und dies ließ einen Kälteschauder über seinen Rücken rieseln. Er verließ die Stute, ging vorsichtig zu dem Mann hinüber und setzte sich neben ihn. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und spürte, wie verkrampft seine Muskeln waren.
»Woher wusstest du den Eceni-Namen für diesen Vogel?«, fragte er behutsam.
»Deine Schwester hat ihn mir gesagt.« Der Mann unternahm keinen Versuch, Báns Hand abzuschütteln. »Als wir heute Morgen zum Versammlungshaus geritten sind, haben wir eine Krähe gesehen, und da habe ich deine Schwester nach dem Wort gefragt. Es ist mein Name, oder zumindest so ähnlich. Auf Lateinisch: Corvus , der Rabe. Es ist der Name meiner Sippe.«
»Dann hätten wir dich also Corvus nennen können, statt immer nur ›der Römer‹ oder ›der Fremde‹. Warum hast du uns deinen Namen denn nicht gesagt?«
Der Mann lächelte. Seine Lippen spannten sich dabei straff über seine weißen Zähne. Doch es lag keinerlei Belustigung in diesem Lächeln. Sein Blick blieb auf den Vogel gerichtet, als er erwiderte: »Um euch gleich schon einmal den richtigen Weg zu weisen? Um euch praktisch mit der Nase auf das zu stoßen, was kommen wird? Und das bei Träumern, die Botschaften aus dem Flug der Vögel und aus dem Muster der Blätter auf dem Gras herauslesen? Sehe ich etwa so aus, als wäre ich verrückt?«
Benommen entgegnete Bán: »Sie sehen darin keine Botschaften. Sie lesen die Zeichen der Götter auf andere Art.« Ihm wurde allmählich übel, und er wusste nicht, was er dagegen unternehmen sollte.
»Das weiß ich jetzt auch. Aber zu Anfang, als ich hierher kam, wusste ich das noch nicht. Cäsar hatte es geschrieben, und ich habe es geglaubt. Es tut mir Leid...« Corvus ließ seine Schultern kreisen, aber es half nicht, um seine völlig verkrampften Muskeln zu lockern. Die Krähe spießte einen weiteren Wurm auf und riss ihn entzwei. Der Römer erschauderte, ähnlich wie ein Pferd, das Fliegen abzuschütteln versucht.
»Wer hat dir denn erzählt, was kommen würde? Doch nicht Breaca, oder?«
»Nein, dazu ist sie zu rücksichtsvoll.«
»Dann also Dubornos?«
»Natürlich er. Wer sonst? Er sagte, dass der letzte Mann, der vom Ältestenrat verurteilt wurde, noch genau anderthalb Tage lebte, bevor die Vögel ihn endlich töteten.« Corvus’ Stimme klang seltsam hohl.
Bán richtete sich ruckartig auf. »Er hat was gesagt?«
Die Krähe flüchtete sich in die oberen Regionen der Buche und brachte mit lautem Krächzen ihr Missfallen zum Ausdruck. Der Römer reckte den Hals, um sie weiterhin zu beobachten.
Wütend sagte Bán: »Hör nicht auf Dubornos, der hat doch keine Ahnung! Er kann überhaupt keine Ahnung haben, denn das passierte zur Zeit seines Großvaters. Er war damals noch gar nicht geboren. Noch nicht einmal sein Vater war damals schon geboren. Es ist einfach nicht wahr. Und das wird diesmal auch nicht passieren. Sie werden dich gegen Caradoc kämpfen lassen, sie müssen einfach.«
»Müssen sie das? Ich wüsste nicht, warum. Ich jedenfalls würde nicht so entscheiden.« Die Augen des Mannes, seltsam starr und blicklos, ruhten noch immer auf der Krähe. Wie jemand, der aus einem Traum erwacht, sagte er: »Die Träumer hatten ihm die Gliedmaßen gebrochen, ihn auf die Plattform gefesselt und dann mit einem Messer seinen Unterleib geöffnet. Sie hatten die Schnitte kreuzweise ausgeführt, damit die Raben und Krähen auch ungehindert fressen konnten. Sie sagten, dass er noch einen Tag und eine Nacht gelebt habe, bis zur
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