Die Herrin der Kelten
Amminios einen Spielstein ab, sah sich aber wenig später plötzlich selbst in die Enge getrieben und verlor auch prompt einen seiner eigenen Steine. Sein Träumer jedoch stand noch geschützt hinter seinen verbleibenden drei Kriegern. Amminios hatte noch vier. Es war nicht unmöglich - jeder von ihnen hatte von dieser Position aus schon einmal gewonnen -, aber es war gefährlich, und keiner von ihnen konnte sich auch nur einen einzigen Fehler leisten. Vor Báns geistigem Auge begannen sich Muster herauszukristallisieren, Wiederholungen der Partien dieses Nachmittags und von anderen, früheren, die er mit Gunovic gespielt hatte. Eine vage Idee zerrte an seinem Vorstellungsvermögen und nistete sich schließlich darin ein. Die Idee wurde konkreter und nahm Gestalt an, und er sah im Geist einen möglichen Lösungsweg vor sich, ähnlich demjenigen, den er zuvor schon einmal gesehen und dann doch nicht genommen hatte. Er glaubte, dass es sich lohnen könnte, es noch einmal mit diesem Weg zu versuchen.
Bei einer neuen Wende des Tanzes bewegte er seinen Träumer auf das freie Feld hinaus und ließ ihn auf einem kurvenreichen Weg quer über das Brett wandern. Amminios Spielsteine bewegten sich wie Wölfe, die einem Beutetier auf der Spur waren. Sie teilten sich in zwei Gruppen auf und kamen hinter ihm her. Sie waren sehr diszipliniert, blieben immer dicht beieinander, achteten stets sorgsam darauf, niemals das eine Feld zwischen ihnen frei zu lassen, das es Báns Träumer ermöglichen würde, eine Kehrtwende zu machen und über sie hinwegzuspringen und ihnen somit den Todesstoß zu versetzen. Der gelbe Träumer stand allein auf der linken Seite des Brettes und rührte sich nicht von der Stelle. Der rote erreichte eine Ecke, und die Wölfe kamen bedrohlich nahe. Bán ließ seine drei restlichen Krieger ausrücken, um seinen Träumer zu verteidigen und die Lücke zu decken. Wenn man vorausschaute, konnte man erkennen, dass ihm nur gerade noch genug Zeit blieb, um sie in einem Karee um den kleineren Stein herum anzuordnen. Auf diese Weise wäre der Träumer zwar vor einem Angriff geschützt, würde aber die Flexibilität seiner Seitwärtsbewegungen einbüßen. Bán seufzte und rutschte nervös auf seinem Platz hin und her. Die Zuschauer an der Tür waren verstummt. Caradoc, oder vielleicht war es auch der Römer, fluchte leise in Brigas Namen. Bán blickte nicht auf. Die Spielsteine bewegten sich rasch über das Brett. Keiner der beiden Spieler nahm sich die Zeit, um innezuhalten und sich eventuelle andere Möglichkeiten zu überlegen. Beide waren voll und ganz auf das Wolfsrudel und seine Beute konzentriert. Bán ließ seine Krieger so schnell vorwärtsspringen, wie die Partie es zuließ. Bei einem Zug riskierte er eine Lücke. Um diese Lücke auszunutzen, hätte Amminios in Kauf nehmen müssen, dass sich der Vormarsch seiner gelben Krieger verzögerte, und Bán wusste, dass Amminios nicht so dumm sein würde; der Wolf bleibt nicht stehen, um nach Eintagsfliegen zu schnappen, wenn er dem Reh auf den Fersen ist. Bei seinem nächsten Zug konnte Bán einen Spielstein vier Felder vorwärtsschieben und so Boden gewinnen. Ein anderer bewegte sich seitwärts, um die Lücke zu schließen. Amminios lächelte schwach und zog eine Braue hoch. Er hatte das schon ein- oder zweimal zuvor getan, um Bán anzudeuten, dass er bereit war, ein Spiel, das schon so gut wie verloren war, auf glatte und saubere Art zu beenden. Bei dieser Partie würde er ein solches Angebot nicht so bald machen. Stattdessen wurde sein Lächeln zu einem stillen Signal zwischen ihnen: Er war drauf und dran zu gewinnen, und sie wussten es beide.
Die Wölfe waren noch drei Felder entfernt, als der rote Träumer plötzlich ausbrach, um sich in Deckung zu flüchten. Es war das größte Risiko, das Bán die gesamte Partie hindurch eingegangen war, und er hörte, wie die Zuschauer an der Tür scharf nach Luft schnappten. Er sprang zur Seite und nach vorn, umging den Anführer seiner Krieger und schlüpfte seitlich hinter ihn, außer Reichweite der gelben Wölfe. Amminios runzelte die Stirn und starrte auf das Spielbrett. Es war ein Zug, den er nicht einkalkuliert hatte. Der Rhythmus des Spiels kam für einen Moment ins Stocken, als er seine Möglichkeiten überprüfte, dann hob er einen seiner Krieger hoch und bewegte ihn, hin und her hüpfend, über seine Mitstreiter hinweg in dem zickzackförmigen Zug, der seine eleganteste Spielweise kennzeichnete. Er kam zwei Felder
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