Die Herrin der Kelten
völlig ungeschult. Sie vollzogen den Wechsel von der bogenförmigen Formation zum Stoßkeil schnell und kamen zu einer Keilformation zusammen, deren Spitze die Hornträgerin bildete. Breaca würde jetzt sterben, so viel war sicher; wer in den vordersten Reihen eines Stoßkeils kämpfte, hatte keine Überlebenschance. Es tat ihr Leid um Braint, die hinter ihrer rechten Schulter in der zweiten Reihe war. Caradoc hatte den Platz auf ihrer Linken eingenommen, und wieder schloss sich die Tür, die offen gestanden hatte. Sie brauchte das Kriegerhorn jetzt eigentlich nicht mehr, außer um Trotz und Herausforderung zu signalisieren, was Grund genug war. Sie riss die Schlangenspeer-Klinge hoch, die das Geschenk ihres Vaters gewesen war, hob das Horn an die Lippen und blies so kräftig hinein, dass das Schmettern die Truppe regelrecht elektrisierte und sie alle geschlossen vorwärts stürmen ließ, wie eine Hundemeute, die von der Leine gelassen wird, um dem Wild nachzujagen, oder wie Pferde, denen man freien Lauf lässt. Das Einzige, was Breaca bedauerte, als die Masse des Keils hinter ihr an Tempo zulegte, war, dass sie keine Zeit mehr gehabt hatte, um ihr eigenes Zeichen in den Buckel des geliehenen Schildes einzuritzen.
Im Lager der Träumer erschallte ein kontrastierendes Horn mit höheren Tönen und melodischeren Klängen als dasjenige, in das sie gerade gestoßen hatte. Die Sonne brach durch eine Lücke in den Wolken und tauchte das Schlachtfeld in gleißendes Licht. Der Morgen erwachte schlagartig zum Leben, erfüllt von Farben und Geräuschen. Wie auf ein unhörbares Kommando hin warfen die Krieger der Ehrengarde urplötzlich ihre Schilde nieder und schoben ihre Schwerter in die Scheiden zurück. Diejenigen an den Rändern der Gruppe ließen sich auf ein Knie fallen. Diejenigen in der Mitte bewegten sich so geschmeidig und lautlos zur Seite wie ein gut geöltes Tor, und auch sie knieten nieder. Hinter ihnen standen die Tore zur Siedlung offen, und dort warteten die Reihen der Träumer, in festliche Gewänder gekleidet. Vor ihnen, lebendig und unversehrt, stand Venutios. Sein Schild war eisengrau und mit Rot markiert, der Farbe frisch vergossenen Blutes. Das Symbol, das auf den Schildbuckel aufgemalt war, noch nass, so dass die Ränder verliefen, war der Schlangenspeer.
Talla trat vor, um die Anführerin des Kriegerstoßkeils zu begrüßen, die abrupt anhielt, zitternd und bebend, ähnlich wie ein Wurfspeer, wenn sich seine Spitze in den Stamm einer Eiche bohrt.
»Willkommen, ranghöchste Kriegerin von Mona!«
Die Stimme der Ratsältesten war dünn und so trocken wie ein Herbstblatt. Ihre Augen und ihr Lächeln glichen so sehr dem der älteren Großmutter, dass Breaca drauf und dran war, in Tränen auszubrechen, und das mitten auf dem Schlachtfeld, was unverzeihlich wäre, aber unvermeidlich sein könnte, wenn sie das ungestüme Feuer in ihrem Inneren nicht löschen oder zumindest dämpfen konnte.
Erschüttert schob sie das Schlangenspeer-Schwert in die Scheide zurück und bemerkte erst jetzt, dass die Narbe in ihrer Handfläche diesmal nicht pulsiert hatte, so wie sonst, wenn ein Entscheidungskampf bevorstand. Die Kriegerinnen und Krieger der Keilformation scharten sich um sie und gelobten ihr bedingungslose Treue. Auch Caradoc war da, der ihr bereits den Kriegereid geschworen hatte. Braint und Cumal gesellten sich zu ihm.
Gwyddhien trat aus der dritten Reihe der Keilformation heraus und spreizte die Hände, wie jemand, der einen harten Wettkampf um Haaresbreite verloren hat. Ihr Lächeln war aufrichtig, ohne eine Spur von Groll oder Missgunst. »Du hast das Horn genommen und zum Angriff geblasen, als kein anderer den Mut dazu hatte«, sagte sie. »Ich hätte in dem Moment bereitwillig mein Leben für dich hingegeben.«
Talla nickte. Breaca blickte an der Ratsältesten vorbei. Airmid stand gleich hinter Venutios, und von Verrat konnte keine Rede mehr sein, nur von Fürsorge und einer überwältigenden Liebe. Sie trug die mit Korallen verzierte Silberbrosche, die sie gerade bei einer Wette gewonnen hatte, und sie weinte, was herzzerreißend war, aber nicht weiter schlimm; einer Träumerin konnte man Tränen auf dem Schlachtfeld durchaus verzeihen, einer Kriegerin hingegen nicht. Da Breaca sich noch immer nicht so recht zu sprechen getraute, aus Angst davor, doch noch die Fassung zu verlieren, und da die Fragen zu schwierig waren, fragte sie nur: »Ardacos?«
»Er ist am Leben«, antwortete Airmid. »Er wird
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