Die Herrin der Kelten
gemocht, seine Opfer in aller Hast hinzurichten. Civilis wäre nicht mit seinem Hund gekommen, wenn er nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass keine Gefahr damit verbunden war.«
Corvus ging zum Fenster hinüber und drückte die Fensterläden auf, um die kalte, neblige Nachtluft hereinzulassen. Die Lampe warf einen weichen Lichtschein auf seinen Rücken und ließ die sonnenradförmige Narbe unter seinen Rippen erkennen, wo er in dem Sommer vor dem Schiffsunglück von dem pannonischen Speer getroffen worden war. Er hatte noch andere Kampfnarben, die sich wie ein Netz über seinen Brustkorb zogen, doch keine davon war so tief wie die von der Speerverletzung. Als er erneut sprach, tat er es, ohne sich zu Bán umzudrehen.
»Bán, du...«
»Nicht Julius Valerius?«
»Wohl kaum. Julius Valerius ist ein Geschöpf, das Gaius erschaffen hat. Er ist nicht der Eceni-Reiter, der ein Pferd reitet, dessen Name Tod bedeutet.« Sie sprachen jetzt Gallisch. Sie waren unwillkürlich von Latein zu Gallisch übergegangen, als Corvus die Fensterläden geöffnet hatte, und Bán hatte gar nichts davon bemerkt.
»Woher hast du gewusst, dass die Krähe der Vogel der Todesgöttin ist?«
»Das hat deine Schwester mir damals erzählt.« »Ach.« Er hatte nicht mehr an Breaca gedacht, seit sie den Rhein verlassen hatten. Das war nun schon so lange her, dass er eine Weile brauchte, um das Bild ihres Gesichts vor seinem geistigen Auge heraufzubeschwören. An die Farbe ihrer Augen konnte er sich schon gar nicht mehr erinnern.
Corvus wandte sich vom Fenster ab und kehrte wieder zum Bett zurück. Als er sich auf die Bettkante setzte, fiel das Licht der Lampe voll auf sein Gesicht.
Bán zog sich die Bettdecke noch enger um die Schultern. Seine Nerven waren über alle Maßen strapaziert, noch stärker als durch alles, was Amminios ihm jemals angetan hatte, und er wurde aus dem, was er dachte oder empfand, schon lange nicht mehr so recht schlau. Corvus bot ihm Freundschaft an, doch er war sich inzwischen nicht mehr sicher, ob ihm das genügte. Er wusste aber auch nicht, was er stattdessen wollte.
Weil es das Einfachste war, sagte er: »Du wolltest mich etwas fragen?«
Der Präfekt legte den Dolch auf die Bettdecke. »Ich wollte sagen, dass du mir früher einmal ein Messer gegeben hast, ein Fluchtmittel, um der Hinrichtung durch die Träumer zu entrinnen. Ich hatte eigentlich vorgehabt, dies um deinetwillen zu vermeiden, aber hier ist es, falls du das Gefühl hast, du brauchst es.«
Es war eine Entschuldigung, ummantelt von Einzelheiten der Vergangenheit, und trotzdem nicht genug. »Es gibt Dinge, die sind noch schlimmer als der Tod, ganz gleich, auf welche Weise er einen ereilt. Frag Iccius.«
»Bán?« Corvus stand so abrupt auf, dass der Horus in seiner Nische hin und her wackelte. »Habe ich dich gekränkt? Habe ich dich in irgendeiner Weise beleidigend behandelt?«
»Du hast Gaius erzählt...«
»Ich habe Gaius nur das erzählt, was er und jeder andere Mann in den Legionen ohnehin schon für wahr hielten. Und ist das so schlimm, dass du lieber eines unendlich langsamen, qualvollen Todes sterben würdest, als zuzulassen, dass dein Name damit in Verbindung gebracht wird? Ist das wirklich derart schlimm?« Corvus wirbelte auf der Ferse herum und bewegte sich wieder zum Fenster. Der Zorn verlieh ihm eine Lebhaftigkeit, die Furcht und Erleichterung nicht in ihm zu wecken vermocht hatten. »Als ich dem Kaiser sagte, dass Liebe zwischen Männern bei deinem Volk ein Grund zur Scham wäre, war ich davon überzeugt, dass das eine Lüge war. Ich habe damals einen Winter in eurem Männerhaus verbracht, und ich hatte wirklich nicht den Eindruck, dass es unter denjenigen, mit denen ich den Schlafraum teilte, als sonderlich große Schande galt. Und hier...« Er wies mit einer Handbewegung in den Nebel hinaus. »Wenn du die Gelehrten fragst, werden sie dir sagen, dass es bei den germanischen Stämmen als Kapitalverbrechen gilt, dass sie solche Männer mit dem Gesicht nach unten in den Sumpf drücken, ein Gitter aus Weidengeflecht auf sie legen und so lange auf ihnen herumtrampeln, bis sie tot sind. Hast du den Eindruck, dass das bei den Römern auch so gehandhabt wird? Ja?«
Bán musste gegen seinen Willen lächeln. »Wenn dem so ist, dann sollten wir Civilis warnen.«
»Genau. Danke. Also, warum... warum...« Corvus war wieder neben dem Bett. Hinter ihm schlugen die Fensterläden gegen die Wand. Der Dolch lag wieder flach auf seiner Handfläche.
Weitere Kostenlose Bücher