Die Herrin der Kelten
gesprochen hatte. Knochige Finger drückten ihm sanft die Augen zu. Die Dunkelheit war irgendwie beruhigend. Die Stimme sagte: »Erzähl uns, was du gesehen hast, als die Krieger aus dem Wald kamen.«
Er sah das Bild wieder ganz deutlich vor sich: wie Breaca an der Spitze des Eceni-Kriegerverbandes ritt, ihr Gesicht blutbeschmiert, ihr Schild mit dem in flammend roter Farbe aufgemalten Schlangenspeer der Ahnen geschmückt. Neben ihr riss der Verräter in dem gelben Umhang plötzlich sein Schwert hoch und hieb mit der scharfen Klinge auf die Beine ihres Pferdes ein. Das graue Stutenfohlen wieherte schmerzerfüllt und stürzte zu Boden. Bán zuckte entsetzt zusammen und riss die Augen auf.
Die Großmutter lächelte ihn an, und zum ersten Mal in seinem Leben empfand er keine Angst vor ihr. »Erzähl es mir«, sagte sie sanft.
»Mandubracios«, sagte er. »Er kam, um Verrat an Breaca zu begehen. Sie gewann die Schlacht, und dennoch kam er, um sie zu verraten.«
»Wenn sie die Schlacht gewann, wie konnte er sie denn da verraten?«
»In der nächsten Schlacht. Er würde dabei sein und so tun, als wäre er auf ihrer Seite, aber in Wirklichkeit würde er für den Feind kämpfen.« Bán richtete sich mühsam auf die Ellenbogen auf. Plötzlich fiel ihm noch etwas anderes ein, etwas, das er völlig vergessen hatte. »Ihr Speer. Ich sah, wie er ihren Speer zerbrach.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Eine Windbö rüttelte an den Bäumen. Angebundene Pferde scharrten mit den Hufen und klirrten leise mit ihrem Geschirr. Eine Krähe flog laut krächzend über den Himmel, und zwei andere stimmten in ihren Ruf ein.
»Danke«, sagte die Großmutter ruhig. »Das ist eine gute Antwort.«
Es hatten sich mehr Leute um ihn herum versammelt, als Bán wusste. Füße schlurften durchs Gras, und Schatten glitten über ihn hinweg, als sie schließlich wieder aufstanden und davongingen. Er hörte das Knacken alter Gelenke, als auch die Großmutter sich erhob. Sie sprach über seinen Kopf hinweg. »Efnís, lass endlich den Hund los, sonst erwürgst du ihn noch. Er wird jetzt keinen Schaden mehr anrichten. Macha, du bist die Gesetzgeberin. Du musst deinem Sohn die Schuld erklären, die er begleichen muss, und die Art und Weise der Wiedergutmachung. Ich werde mit Eburovic sprechen und ihn auf das vorbereiten, was kommen wird.«
Efnís ließ Hail los, und für einen Moment gingen die Worte der Großmutter im Freudentaumel der Begrüßung unter, als sich der Hund laut bellend und winselnd auf Bán stürzte. Bán kämpfte sich in eine sitzende Haltung hoch. In seinem Kopf drehte sich noch immer alles, aber mit Hails und Machas Hilfe war er in der Lage, aufrecht zu sitzen. Er blickte sich um und stellte fest, dass sie allein waren, abgesehen von Efnís. Der junge Träumer spielte nervös mit den langen Grashalmen und wollte ihm nicht in die Augen sehen. Das Marktgelände hinter ihm, auf dem sich nur wenige Stunden zuvor noch sämtliche Männer, Frauen und Kinder der Eceni getummelt hatten, war jetzt leer.
Macha sagte: »Bán, komm mit ins Haus.«
In dem großen Versammlungshaus herrschte rege Geschäftigkeit, aber niemand sprach laut. Der Geruch nach Harz und Kiefernholz war jetzt schwächer als zuvor, und einige der Pferdebanner waren von den Wänden abgenommen worden. Sie kehrten zu Efnís’ Feuer zurück, und Bán stellte fest, dass in der Zwischenzeit jemand anderer die Kiefernäste zurechtgeschnitten hatte und dass die Fackeln fertig waren. Sie lagen in einem ordentlichen Stapel auf einem Schafsfell neben dem Feuer. Der Topf auf dem Feuer enthielt jetzt nur Wasser. Als es kochte, füllte Macha einen Becher damit, mischte ein paar Kräuter hinein und gab Bán die Flüssigkeit zu trinken. Sie schmeckte nach Klette und noch nach einigen anderen, ziemlich bitteren Kräutern, die er nicht kannte. Es war ein so unangenehmer Geschmack, dass sich ihm die Zunge zusammenzog und seine Augen brannten, aber sein Kopf wurde wieder klar, und er konnte wieder deutlich sehen. Macha setzte sich vor ihn auf den Boden und trank die letzten paar Tropfen seines Tees. Ihr Blick war auf das Feuer gerichtet. Er hatte sie noch nie so ernst und niedergeschlagen gesehen. Er legte ihr eine Hand auf den Arm. »Wo ist Breaca? Sie hatte Blut im Gesicht. Vielleicht hat sie Wunden, die versorgt werden müssen.«
»Nein.« Mit sichtlicher Mühe riss Macha ihren Blick vom Feuer los. »Efnís, würdest du uns bitte allein lassen? Ich möchte mit meinem Sohn
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