Die Herrin der Kelten
um die mondsichelförmige Blesse auf ihrer Stirn zu betrachten. Er redete mit ihr, versprach ihr wundervolle Dinge - dass sie geliebt und geehrt werden würde, mehr noch als all die anderen Pferde in der Herde ihres neuen Eigentümers; dass sie sanft geritten und gut abgerichtet werden und große Schlachten erleben würde; dass sie, wenn ihre Zeit gekommen war, von dem prächtigsten und besten der Zuchthengste gedeckt werden und nur die schönsten Fohlen gebären würde. Es waren lauter Lügen, und er wusste es auch, und die Worte erstarben ihm in der Kehle. Sie schnaubte ihm sanft ins Gesicht und stupste ihn mit ihrem weichen Maul an, um ihn aufzuheitern, und er roch ihren warmen, vertrauten Jungfohlen-Geruch und wusste, dass er nur noch sterben wollte.
Später, als der Nachmittag bereits in den Abend überging, kam Breaca zu ihm. Im Westen ballten sich dunkle Gewitterwolken am Himmel zusammen und verdeckten den Horizont. An den Rändern der Wolkenungetüme sickerte das Rot des Sonnenuntergangs heraus, ähnlich wie Blut aus einer tödlichen Wunde. Bán beobachtete das Naturschauspiel und versuchte sich zu erinnern, wieso er nur jemals geglaubt hatte, den Mut eines Kriegers zu besitzen. Er tat nichts, um seine Schwester zu begrüßen. Von allen Menschen, die ihm nahe standen, war sie diejenige, die er jetzt am wenigsten sehen wollte. Sie stand am Rande seines Blickfelds, schweigend und wartend. Schließlich, als er nur weiterhin stumm dasaß und sich nicht zu ihr umdrehte, bückte sie sich und legte einen Arm voll Zweige und Holzscheite neben die Mauer. »Ich habe dir Holz für dein Feuer gebracht«, sagte sie. »Du solltest lieber ein Feuer anzünden, wenn du vorhast, die ganze Nacht draußen zu bleiben.«
Das war vernünftig. Er hatte nicht daran gedacht, Feuer zu machen, aber es war eine gute Idee, zumindest für Hail, wenn auch nicht für ihn. Er nickte, um zu zeigen, dass er sie gehört hatte, und wartete darauf, dass sie wieder ging.
»Bán?« Sie kauerte sich neben ihn. Schüchtern, fast zögernd, legte sie ihm eine Hand auf den Arm. Ihre Stimme klang gepresst und stockend, so als ob sie geweint hätte oder jeden Moment weinen würde. »Bán, es tut mir so Leid. Ich habe nicht gewusst... sie haben es mir eben erst gesagt. Ich habe versucht, sie dazu zu überreden, andere Geschenke anzunehmen, aber sie sagen, es liegt in der Hand der Götter, und sie können nicht anders handeln.«
Bán sagte nichts. Nicht aus Unhöflichkeit, sondern weil es nichts zu sagen gab. Jeder andere hätte ihn einfach seinem Elend überlassen. Breaca war seine Schwester. Sie setzte sich neben ihn auf den Boden, während sie den stillen, tieftraurigen Hail behutsam aus dem Weg schob. »Bán? Kleiner Bruder?« Sie schlang die Arme um ihn und verflocht ihre Finger mit den seinen. Ohne dass er sich dessen bewusst war, suchte sein Daumen die Narbe in ihrer Handfläche, die quer über den Daumenhügel verlief. Breaca legte ihre Wange auf seinen Kopf, so wie sie es schon immer getan hatte, und zog ihn fest an ihre Brust. Er konnte das Pochen ihres Herzens durch ihre Tunika hören. Wenn sie ihn in den alten Zeiten, als er noch klein gewesen war, so wie jetzt in den Armen gehalten hatte, hatte er immer ihre Herzschläge laut mitgezählt, um zu zeigen, dass er schon die Zahlen kannte und den Rhythmus messen konnte. Jetzt pulsierten sie durch ihn hindurch und hallten dumpf in seinem Inneren wider.
Ihre Stimme vibrierte durch seinen Kopf. Sie erzählte ihm, dass sie versucht hatte, vernünftig mit den Ältesten zu reden und sie durch Argumente zu überzeugen, aber leider gescheitert war, und dass sie gekommen war, um ihm die einzige Entschädigung anzubieten, die sie sich vorstellen konnte. »Ich weiß, meine graue Stute ist nicht so perfekt wie dein Fohlen, aber wenn du sie haben möchtest, gehört sie dir. Würdest du sie als mein Geschenk an dich annehmen? Bitte?«
Bán schüttelte nur stumm den Kopf. Er wollte kein anderes Pferd haben, niemals mehr. Das hatte er bereits entschieden. Er versuchte, sich aus Breacas Umarmung zu befreien, doch sie drückte ihn noch fester an sich.
»Nein.« Ihre Arme hielten ihn gefangen. »Wenn du mein Fohlen nicht haben möchtest, dann lass es. Aber bleib bei mir. Lass dich einfach von mir halten und sag nichts. Wir müssen nicht reden.«
Da gab er den Kampf auf. Sie hielt ihn fest umschlungen, so wie er Hail umschlungen gehalten hatte, während sie sanfte, tröstende Küsse auf sein Haar drückte und
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