Die Herrin der Kelten
Sie musterte Bán nachdenklich. »Kannst du das tun?«
»Ich kann alles tun.«
»Ich glaube dir«, erwiderte Airmid ernst. Als er sich umdrehte, um nach Hail zu greifen, strich sie ihm plötzlich leicht mit den Fingern durchs Haar. »Na schön, dann lass uns anfangen und sehen, ob dein Hund das auch kann.«
Es war schon lange nach Einbruch der Dunkelheit, und Bán war todmüde und erschöpft und tat sein Bestes, um nicht der Verlockung des Schlafes zu erliegen. Hail lag neben ihm auf einem Bett aus Gras. Der Atem des Welpen ging jetzt wieder ruhig und gleichmäßig, und seine Augen waren nicht mehr so tief eingesunken. Als sie ihm das letzte Mal die Medizin verabreicht hatten, hatte er geradezu gierig an der Flasche gesaugt, so wie er es früher, vor der Entwöhnung, getan hatte, als er noch mit Stutenmilch ernährt worden war. Seit Einbruch der Dämmerung hatte er keinen wässrigen Durchfall mehr ausgeschieden, und sein Urin war normal. Das Beste von allem war, dass er nicht mehr so widerlich roch. Airmid hatte gesagt, er würde am Leben bleiben, und Bán glaubte ihr. Sie saß jetzt neben ihm, den Rücken an die Holzwand seines Schlafplatzes gelehnt, und döste vor sich hin, genau wie er. Er fühlte das Gewicht ihres Armes auf seinen Schultern, während sie ihn leicht an sich gedrückt hielt, fürsorglich und beschützend. Das Zeichen des Froschfußes presste sich an seine Haut, doch jetzt fürchtete er sich nicht mehr davor. Es gesellte sich zu den anderen Gestalten, die seine Träume bevölkerten; Träume von Hasen und Pferden und Speerkämpfern und von Breaca, die während ihrer langen Nächte allein im Wald saß. Ihr Haar war tiefrot, so rot wie Ochsenblut, und es leuchtete im hellen Licht des Mondes.
Als er einige Zeit später aufwachte, saß Airmid nicht mehr neben ihm. Sie zeichnete sich als verschwommene Silhouette gegen den matten Schein des heruntergebrannten Feuers ab. Er hörte das gedämpfte Gluckern der Arzneiflasche und richtete sich auf einen Ellenbogen auf.
»Airmid? Kann ich dir helfen?«
»Nein, nein, lass nur. Ich komme schon zurecht. Schlaf du ruhig weiter.«
Doch er war jetzt hellwach und unfähig, wieder einzuschlafen. Bruchstücke seines Traums beunruhigten ihn. »Warum bist du nicht bei Breaca? Sie muss sich auf den Weg in die Einsamkeit machen, wenn der Morgen dämmert. Solltest du jetzt nicht bei ihr sein?«
»Sie muss allein sein. Das ist der Sinn und Zweck der Sache.«
»Aber musst du denn nicht am Frauenhaus sein, wenn sie sich auf den Weg macht? Um ihr deinen Segen zu erteilen?« Er konnte sich nur in Vermutungen ergehen, und Airmid wusste das sicherlich; er wusste nämlich über die Riten der Frauen ebenso wenig Bescheid, wie er - bisher noch - über die der Männer wusste.
»Vielleicht später.«
Hail trank den letzten Schluck der Medizin. Mit einem Seufzer drehte er sich auf seinem Grasbett einmal im Kreis herum und versank dann wieder in den tiefen Schlaf der Genesung. Airmid verschloss die Arzneiflasche mit dem Stöpsel und stellte sie auf das Bord zurück, das sie dafür gemacht hatte. Nun, da sie in seiner Nähe war, konnte Bán erkennen, dass sich ihr Aussehen seit dem Morgen verändert hatte. Ihre dunkle Haarmähne war sorgfältig gekämmt worden, so dass sie glatt und seidig auf ihre Schultern herabfiel, und sie hatte das Band aus gedrehter Birkenrinde um ihr Haar geschlungen, um es aus der Stirn zurückzuhalten. Die Tunika, die sie jetzt trug, war eine dunkle, nicht die aus heller Wolle, die sie angehabt hatte, als sie sich am Fluss begegnet waren. In dem trüben Halbdunkel war es schwierig, die Farbe zu erkennen, doch Bán glaubte, es könnte ein dunkles Grün sein. An einer Lederschnur um ihren Hals baumelte ein polierter, mit Torfkohle dunkel gefärbter Pferdefußknochen, eingerahmt von zwei Paar Bärenzähnen, die leise klickend gegeneinander schlugen, wenn sie sich bewegte. In den Pferdeknochen waren Frösche in verschiedenen Körperhaltungen eingeschnitzt. Der Anblick der Frösche erinnerte Bán wieder daran, wo er stehen geblieben war.
»Breaca hat noch keine Traumerscheinung gehabt, nicht?«, fragte er. »Ich meine, es gibt kein Wesen, das zu ihr spricht, so wie die Frösche zu dir sprechen, oder?«
»Noch nicht, nein. Aber es geschieht auch nicht immer, dass sich solche Erscheinungen schon vor den drei langen Nächten einstellen. Deshalb ziehen wir uns ja in die Einsamkeit zurück. Und selbst dann kann es sein, dass sie niemals eine Vision hat. So
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