Die Herrin der Kelten
bis du dir ein anderes verdient hast. Und jetzt sieh dir den Anführer an.«
Der Anführer stieg als Letzter in den Kessel. Er malte sich sein eigenes Zeichen auf den Unterarm. Als er begann, erkannte Breaca den Umriss sogleich, und ihr Herz tat einen Hüpfer. »Ist das ein Hase? Trägt der Anführer das Zeichen des Hasen?« Der Hase war Nemains Tier, ebenso heilig wie der Zaunkönig. Er konnte ganz nach Belieben zwischen den Welten wechseln und Nachrichten von den Göttern zu den Menschen tragen und umgekehrt. Nur in den Augenblicken der größten Zuversicht hatte Breaca sich vorgestellt, dass der Hase ihre Vision werden könnte.
Die ältere Großmutter entgegnete: »Ja, es ist ein Hase. Er hat ihn sich verdient. Und das könnte ihn jetzt vielleicht noch retten. Sieh genau hin, sie sind fast fertig.«
Die alte Frau starrte aufrecht sitzend in das Tal hinunter. Die Krieger hatten sich nun wieder in Gruppen um das Feuer herum versammelt. Der Gesang war abgeebbt, und die Anführer hatten nun ein neues, kraftvolleres Lied angestimmt, in dem sich Kanon und Gegenkanon zwischen ihnen und den Kriegern immer wieder abwechselten, während sie mit ihren Speerschäften im Rhythmus des Liedes gegen den leeren Kessel schlugen. Die Tonlage war nun eine ganz andere als die ihres vorherigen Liedes, das dem Gesang eines Vogels geähnelt hatte. Dieses Lied war ein Versprechen von Krieg und Tod, kein Willkommensgruß an die Sonne. Die Kraft der vielen Stimmen, die in dieses Lied mit einflossen, erweckte Stärke und Hoffnung. Breaca spürte, wie es durch sie hindurchpulsierte und sie mitriss und ihr Herz um eine Antwort anrief. Unwillkürlich passten sich ihre Finger dem Rhythmus an, klopften im gleichen Takt auf ihren Oberschenkel. »Wann werden sie zu kämpfen beginnen?«, fragte sie. »Und gegen wen?«
»Sie werden kämpfen, sobald die Sonne ganz aufgegangen ist. Es dauert jetzt nicht mehr lange. Wenn es passiert, wirst du zuschauen und lernen. Du wirst aber nicht hinuntergehen.« Die Großmutter griff nach hinten in das Fuchsloch und zog genau solch einen Speerschaft heraus, wie ihn auch die Männer unten im Tal verwendet hatten. »Hast du gesehen, auf welche Weise der Stein am Schaft fixiert wurde?«, fragte sie.
»Ja.«
»Dann tu es jetzt.«
Breacas Gürtelsäckchen war mit einem Lederriemen zusammengebunden, der genau die richtige Länge und das richtige Gewicht hatte. Sie entknotete ihn und verwendete ihn zunächst, um damit ihr Haar zurückzubinden und den Riemen zu einem lockeren Knoten im Nacken zu schlingen, genauso, wie es auch die Männer getan hatten. Das war zwar vielleicht nicht nötig, doch sie wollte das Ritual exakt einhalten. Die Großmutter klatschte nun auf die gleiche Art, wie es auch der Anführer der Ahnen getan hatte, und Breaca kniete mit ihrem rechten Knie auf die Erde nieder und balancierte dabei den Speerschaft auf ihrem linken Oberschenkel. Diese Haltung war ungewohnt, wurde mit der Zeit aber leichter. Nun zog sie, wie es auch die Männer getan hatten, mit einer Hand den Lederriemen aus ihrem Haar und hielt mit der anderen die steinerne Speerspitze an den Speerschaft. Auch das Umwickeln mit dem Riemen war schwieriger, als es ausgesehen hatte. Zweimal ließ sie den Stein sogar auf die Erde fallen. Zweimal hob die Großmutter ihn wieder auf und reichte ihn kommentarlos an Breaca zurück. Unten im Tal erreichte der Gesang, begleitet von wildem Füßestampfen, nun das Crescendo und endete dann sauber auf einem einzigen Takt. Schweigend schlang Breaca den Lederriemen ein letztes Mal um Speerspitze und Schaft und verknüpfte ihn zu einem Knoten. Es war zwar nicht perfekt, und sie sah schon jetzt, wie sie es hätte besser machen können, aber Spitze und Schaft waren fest miteinander verbunden, und in ihrem Herzen wusste Breaca, dass dieser Speer, sollte sie ihn darum bitten, für sie töten würde. Der Holzschaft in ihrer Hand fühlte sich leicht und lebendig an. Wenn man eine Sache das erste Mal versucht, so zeigt sich in der Art und Weise, wie dieser Versuch gelingt, immer ein Abbild dessen, wie sie sich in der Zukunft entwickeln wird. Die Sonne erstrahlte nun in ganzer Breite über den östlichen Rand des Tals, und als ihr Licht das milchige Blau des Steins berührte, verwandelte sie ihn in Gold. Eine Brise strich über die obersten Ränder des Tals, trug dabei die Gerüche von Rauch, Schwarzdorn und Eberesche herüber und den bitter-scharfen, Krieg verheißenden Geruch des Färberwaids. Breaca
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