Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Grund dafür, deinem Gemahl nicht die Wahrheit zu erzählen und damit Eudoxia wie auch dich selbst von diesem Albdruck zu erlösen.«
»So ist es«, bestätigte Marocia. Selten hatte die Äbtissin ihre Schwester so ernst, langsam und klar sprechen hören wie jetzt. »Wenn ich Alberic erzähle, dass Eudoxia von Berengar stammt, und ihm die Umstände schildere, die dazu geführt haben, wird er mich entweder eine Lügnerin nennen und den letzten Rest unseres ohnehin bloß leidlichen Einvernehmens zerstören, oder er wird sich gegen Berengar stellen und einen neuen Konflikt auslösen.«
»Er würde einen Krieg für deine Ehre führen?«, rief Blanca und setzte sich auf einen der Sessel. Unter dem leisen Knarren des Holzes rückte sie einige Male hin und her. Dann blickte sie nachdenklich in den Becher, nippte an dem Gebräu und sagte schließlich: »Alberic scheint mir kein solcher Mann zu sein. Was ich meine, ist . . .«
»Wir sind uns fremd bis ins Mark, das meinst du. Es muss dir nicht peinlich sein, du hast ja Recht. Unter normalen Umständen würde Alberic nie mehr gegen Berengar vorgehen, selbst wenn der König ihn direkt ins Gesicht schlüge. Und schon gar nicht meinetwegen. Aber so . . . Denke daran, was alles in den letzten Jahren geschehen ist.«
Blanca musste ihrer Schwester zustimmen. Selbst in die Mauern von Fontana Liri waren Erzählungen über Berengars unkönigliche Taten gedrungen. Nach seinem Triumph über die Sarazenen hatte er sich wie ein unbesiegbarer Halbgott gebärdet und sogleich einen nutzlosen Krieg gegen die Ungarn begonnen. Ausgerechnet Berengars Enkel Ansgar, der Herzog der Lombardei, nutzte die Verstrickung des Königs in den Ungarnkrieg für einen Aufstand, offenbar mit dem Ziel, selbst König zu werden. Um diese Rebellion niederzuschlagen, bot Berengar den ungarischen Magyarenhorden einen Frieden an. Er sicherte ihnen
parias
zu, Tribute, für die ganz Italien aufkommen sollte. Als Gegenleistung sollten die Magyaren das rebellische Herzogtum seines Enkels für ihn unterwerfen. Doch diese Halbbarbaren hinterließen nicht bloß in der Lombardei eine Schneise der Verwüstung, sondern griffen zeitweise auch auf die Toskana und Spoleto über, ohne dass Berengar etwas dagegen unternommen hätte. Nach alldem konnte sich selbst Blancas friedliches Gemüt vorstellen, dass die Fürsten nicht gut auf ihren Souverän zu sprechen waren.
»Und seit einer Woche«, meinte Marocia leicht erheitert, »steckt unser Freund Berengar erst so richtig in Schwierigkeiten.«
»Was ist nun wieder geschehen?«
Marocia setzte sich auf den anderen Sessel und lächelte. Doch auch in diesem Lächeln erkannte Blanca noch einen Zug von Schwermut, einen Ärger, nicht selbst an den Ereignissen beteiligt zu sein, sondern nur darüber berichten zu können. Marocia vermisste ihr abenteuerliches Leben offenbar ebenso, wie sie es fürchtete. »Wer hätte das gedacht: Der gute, alte, entthronte Louis meldet sich mal wieder zu Wort. Er nutzt das Chaos um Berengar und Ansgar im Norden aus und hat ein kleines Heer unter der Führung seines Sohnes Hugo nach Oberitalien geschickt. Eine Stunde, bevor ich aus Spoleto abreiste, brachte ein Bote die Nachricht, dass Berengar bei Piacenza geschlagen wurde. Oh, nur eine kleine Schlacht, nichts Entscheidendes, aber immerhin.« Sie wurde wieder ernst. »Verstehst du, wenn ich ausgerechnet
jetzt
mit der Geschichte von damals zu Alberic gehe, treibe ich ihn vielleicht in einen Krieg hinein. Und damit«, fügte sie bitter hinzu, »habe ich zu viele schlechte Erfahrungen gemacht.«
Blanca fasste ihre Schwester an beiden Händen und sah sie liebevoll an. »Irgendwann wird alles gut. Für dich und für deine Kinder. Dafür werden wir beide die nächsten Wochen bis zu deiner Abfahrt beten.«
»Ich fahre schon übermorgen«, korrigierte Marocia. »Ich bin nur wegen des Mysterienspiels gekommen. Zum Weihnachtsfest möchte ich wieder bei den Kindern sein.«
Blanca machte eine erstaunte Geste. »Aber Marocia, zweimal im Dezember über die Berge, das ist doch . . .« Dann lachte sie, dass es bis in den Kreuzgang hallte. »Du wirst nie eine Frau wie die anderen sein. Nicht in hundert Jahren.«
22
»Schach!«, rief Clemens und blinzelte zuerst seine Mutter und dann die Aprilsonne zufrieden an. Wie immer in diesem Monat hatte Marocia auch im Jahre 924 ihren Aufenthalt nach Assisi verlegt, wo sie sich am wohlsten fühlte. Sie hatte die dortige Villa nach eigenem Geschmack erweitert und
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