Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
sicher sein konnte, dass niemand sie beobachtete, ging sie langsam zu einer Seitenpforte, öffnete sie vorsichtig und schlüpfte hindurch. Der Treppenaufgang war ihr vertraut, aber sie war schon weit über vierzig Jahre alt, und es fiel ihr von Mal zu Mal schwerer, die vielen steilen Stufen zu bewältigen, die zu Gratian führten. Sie erklomm sie jedoch mit der gleichen Verbissenheit wie alles andere in ihrem Leben, die ständigen Heimlichtuereien und das Begraben alter Sehnsüchte und Hoffnungen.
Gratian erwartete sie am Treppenende. In seinem weiten bischöflichen Gewand sah er wichtig und eindrucksvoll aus. Wohlstand und Stellung hatten ihn aufgeschwemmt, aber Damiane versuchte noch immer, den pummeligen lateranischen Mönch in ihm zu sehen, als den sie ihn kennen gelernt hatte.
Stumm umarmten sie sich. Vor drei Monaten hatten sie sich das letzte Mal getroffen, denn Gratian residierte hier in Ravenna, während Damiane nach wie vor bei Marocia diente – wenngleich nicht mehr als Zofe, sondern seit einigen Jahren als Hofdame.
»Gut, dass du so schnell kommen konntest«, flüsterte Gratian und strich ihr liebevoll über den altjüngferlichen Haarknoten. »Aber lass uns erst in mein Gemach gehen. Ich will nicht, dass dich jemand sieht.«
Solche Sätze taten Damiane nicht mehr weh, aber manchmal, wenn sie allein war und an die Pläne dachte, die sie früher hatten, musste sie weinen. Heute jedoch nickte sie nur und freute sich darauf, gleich in normaler Lautstärke mit Gratian reden zu können, seine Berührungen zu spüren . . .
Kaum hatte er die Türe seines Gemachs hinter sich geschlossen, fragte er: »Du warst nur abkömmlich, weil die Herzogin abgereist ist, nicht wahr?«
Damiane entfernte sich mühevoll einige Nadeln aus der Frisur, um ihr Haar aufschütteln zu können. »Ja«, bestätigte sie undeutlich, denn sie hatte eine der Nadeln zwischen die Zähne geklemmt.
»Und wohin ist sie abgereist?«
Damiane zuckte mit den Schultern.
»Du bist ihre Vertraute. Sie hat es dir doch bestimmt gesagt.«
Damiane schüttelte den Kopf.
»In welche Richtung ist sie gefahren? Oder ist sie geritten?«
Damiane rollte mit den Augen und zuckte neuerlich mit den Schultern.
Gratian zog mit der einen Hand die Haarnadel aus ihrem Mund, mit der anderen beendete er Damianes Arbeit an ihrem Haar.
»Würdest du dich bitte nicht die ganze Zeit wie ein Affe mit mir unterhalten?«, bat er gereizt.
»Autsch!«, schrie Damiane. »Das hat wehgetan.«
»Das ist wichtig, Damiane. Ich glaube nämlich, dass die Herzogin eine Hinterlist plant, und von mir wird erwartet, dass ich sie vereitle. Ich brauche jetzt dringend deine Hilfe.«
»Wir haben beide schon vor langer Zeit vereinbart, dass . . .«
In diesem Moment packte er ihre Handgelenke. »Verdammt, Damiane, das hier ist kein Kinderspiel mehr. Ich muss mehr über die Pläne der Herzogin erfahren, verstehst du, ich
muss
.«
Damiane hatte nicht gewusst, wie intensiv, ja glühend Gratians Augen blicken konnten, dieselben Augen, in denen sie früher nichts Böses hatte finden können.
»Du machst mir Angst«, jammerte sie.
Auf der Stelle ließ er sie los und verwandelte sich in den Mann zurück, als der er ihr immer erschienen war. Schwerfällig, die Arme schlaff herabhängend, trottete er an den Wänden seines Residenzzimmers entlang. Religiöse Malereien wechselten sich dort mit Heiligenstatuen ab, dazwischen schimmerte die Sonne durch die Kristallfenster und zauberte bunte Punkte auf den Boden. Vor einer massiven Holztruhe mit Eisenbeschlägen blieb er stehen. Er entfernte den schweren Kerzenlüster von ihr und hob den Deckel kurz hoch. Als seine Hand wie eine Schlange in das Innere der Truhe kroch und ihren klimpernden Inhalt umrührte, huschte ein erleichtertes Lächeln über Gratians Gesicht, dann klappte er den Deckel wieder zu und setzte sich keuchend auf die Truhe.
»Reichtum«, sagte er. »Den haben wir doch immer gewollt.«
Einladend breitete er seine Arme aus und lockte Damiane damit wie ein Strudel heran. Sie suchte nun wieder all das, woran sie über alle Maßen hing, seine Berührung, seine vollen Wangen, seinen ganz speziellen Geruch. Wie oft hatte sie auf seine Gewänder geweint, wie oft seine weiche Haut auf ihrer gefühlt? Gratians Umarmungen waren für sie wie eine Zeitreise, und so schloss sie versöhnt die Augen und gab sich eine Weile ganz seinem sanften Streicheln ihrer Haare hin.
»Wenn du mir nur noch dieses eine Mal hilfst«, flüsterte er, »ist
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