Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
sich dort gedankenverloren an eine der Zinnen und blickte unentwegt auf ihre Heimat, der sie immer treu geblieben war. Es war bitterkalt, und die weiße Sonne berührte bereits den Horizont. Das Leben erlahmte und erstummte. Die Stadt war eine einzige graue Masse ohne Häuser oder sonstige Details, selbst die Petersbasilika im Westen wirkte bloß noch wie ein riesiger Schatten.
Suidger wusste, dass Marocia diese Stunde liebte, daher hielt er sich im Hintergrund und schwieg. Er hätte ihr gerne in die Augen gesehen, hätte gerne gesprochen, aber sie verharrte stur bei ihrem Blick über das dämmernde Rom. Ihr Kopf zitterte leicht. Sie trug entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit ein Tuch, das ihre grauen Haare und die Ohren bedeckte. Vor einigen Wochen noch war sie die wahre Herrin von Rom, und jetzt nicht mehr als eine Greisin am Abgrund. Ihr warmer Atem zerstob in der eisigen Luft.
»Nun?«, fragte sie endlich.
Er atmete tief durch. »Tod durch das Beil«, konstatierte Suidger nüchtern. »Eine öffentliche Hinrichtung, sobald der Aufstand niedergeschlagen ist. Auf dem Platz vor der Engelsburg.«
Knapper konnte es nicht gesagt werden. Es war gerade diese rationale, direkte Art, die Marocia an Suidger schätzte. Sie hatte sie nie als kalt empfunden, sondern vielmehr als beruhigend, als etwas, worauf sie sich verlassen konnte.
Marocia zuckte kurz, wie unter einem Stich, aber der Schmerz verzog sich rasch. »Ich habe nichts anderes erwartet, trotz der brillanten Verteidigungsrede, die Ihr gehalten habt, mein Freund.«
»Gott wird Euch nicht einfach so im Stich lassen. Das hat er bisher nie.« Der Einbruch höherer Mächte in die Argumentationskette dieses Analytikers war immer aufs Neue befremdlich.
»Ach ja, Gott«, murmelte Marocia und verzog den Mund ein wenig. »Gehen wir bitte für einen Moment davon aus, dass Gott zu überlastet ist, um sich in meine Situation einzumischen. Seht mich nicht so vorwurfsvoll an, ehrwürdiger Suidger. Ich sage ja nicht, dass es so ist, nur, dass wir für einen Moment davon ausgehen sollen.«
»Ich werde mich bemühen.«
»Gut. Welche Möglichkeiten bleiben mir noch?«
Suidger rieb sich mit einer Hand den Bart, die andere ruhte auf dem hervorstehenden Bauch. Jetzt erst bemerkte er, dass Marocia das Tuch abgenommen hatte. An ihren Ohren schwangen tropfenförmige Perlohrringe vor und zurück, und das Mondlicht brachte ihre Augen zum Funkeln, glättete Falten und überzog ihre Haut mit einem silbrigen Schimmer. Wie auf einem besonders lebensechten Gemälde hob sich ihr Kopf aus der Dunkelheit des Abends ab. »Ihr müsst tun, was Ihr am besten könnt.«
»Kämpfen, meint Ihr das?«
»Gut, dass Ihr es nicht vergessen habt.«
»Wie könnte ich?«, fragte sie leise in sich hinein und blickte umher, auf die Zeugnisse ihres letzten Kampfes. Pfeile und Lanzen lagen verstreut auf der Plattform herum, die Sträucher waren zerrupft, und der Rasen war entweder zertrampelt oder vom Blut gefallener Gefolgsleute bräunlich gefärbt. Die Leichen waren entfernt worden, nicht aber die Pfeilspitzen und Katapultgeschosse, die sie getötet hatten. Marocia ging zu einem kleinen, schüsselförmigen Helm, der offenbar einem Leichtbewaffneten gehört hatte. Sie betrachtete das verbeulte Stück eine Weile und atmete tief durch. Der Geruch von Eisen und Asche lag in der Luft, der elende Geruch des Todes.
»Ich bin dazu verdammt«, sagte sie. »Aber ich habe zu oft und zu lange gekämpft. Irgendwann nutzt sich alles ab. Irgendwann muss das alles doch ein Ende haben.«
21
Anno Domini 923
»Du bist ein Engel«, rief Blanca aus, als sie aus der Kapelle trat. Ihre Hände ausgestreckt, lief sie auf Marocia zu, die im Kreuzgang gewartet hatte, und küsste ihren Gast. »Dass du uns besuchst! Zu dieser Jahreszeit!«
Sie blickte in den Nebel, der auch den Garten inmitten des Kreuzgangs verhing, und anschließend wieder in das Gesicht ihrer Schwester, das sich in diesen acht Jahren seit ihrem ersten Besuch sehr verändert hatte. Oh, sie war nicht weniger schön, nur war sie es auf eine andere, ruhigere Weise. Jedes Jahr besuchte Marocia Fontana Liri wenigstens einmal, und mit jedem Jahr erinnerte ihr Ausdruck Blanca stärker an eine Darstellung der bedrückten Maria Magdalena, die in der Kapelle hing. Nun, das war vielleicht übertrieben – und nebenbei auch ein klein wenig blasphemisch. Alle Nonnen von Fontana Liri lobten, wie viel gelassener Marocia seit jenem ersten Aufenthalt im Kloster geworden war.
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