Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Schritt weiter,
Heiligkeit
. Sonst muss ich Euch zum Märtyrer machen.«
Johannes’ Augen schienen Blitze auf Marocia schleudern zu wollen, doch die Schwertspitze an seiner Brust machte ihn reglos und stumm.
»Leider«, presste Marocia hervor, »kann ich nicht beweisen, dass du hinter dem Mord an Alberic steckst, Johannes, und auch so manchem anderen mysteriösen Anschlag oder Todesfall. Da du nun einmal rechtmäßig gewählt bist und viele Menschen so töricht sind, an die Heiligkeit deines Amtes zu glauben, werde ich nichts gegen dich unternehmen. Du darfst dich also deinen geistlichen Aufgaben widmen – wenn du überhaupt weißt, wie das geht. Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: Politisch habe fortan
ich
das Sagen.«
Auf dem Absatz drehte Marocia sich um und verließ den Saal, gefolgt von Guido und den Offizieren.
Nun löste Desiderius sich aus der Reihe der Kardinäle und trat zum Papst. Jede Leidenschaft für Marocia war aus Johannes’ Augen gewichen, und mit eisiger Stimme hauchte er: »Das hat sie mir nicht umsonst angetan, Desiderius. Sie hat mich über all die Jahre getäuscht. Sie hat mich lächerlich gemacht, und dafür wird sie eines Tages zahlen.«
Desiderius verzog keine Miene, aber er rieb sich die gefalteten Hände und warf einen langen Blick auf den goldenen Thron der Nachfolger Petri: »Es wäre mir eine Freude, dabei zu helfen.«
Fünfter Teil
Die Herrin von Rom
Der Weihnachtstag, Anno Domini 963
Vorsichtig, fast ehrfürchtig betrat Marocia die Kapelle der Engelsburg. In ihrem schwarzen Gewand wurde sie schnell von der Dunkelheit des Raumes verschluckt. Nur durch den schmalen Spalt in der Pforte fiel ein wenig des zuckenden Lichts der Fackeln herein. Doch Marocia hätte dieser Hilfe nicht bedurft; sie wusste, wohin sie wollte. Vor dem einzigen Sarkophag kniete sie nieder. Ihre Lippen bewegten sich, ohne dass ein Laut über sie gekommen wäre. Unentwegt starrte sie auf die strengen Konturen des nackten, glatten Steins, dem jede Zierde fehlte und der sich wie eine Mauer vor ihr erhob. Langsam streckte sie die Hand aus und berührte das grobe Menschenwerk.
Um zu bewahren, was sie sich am meisten wünschte, hatte irgendjemand – das Schicksal, das Leben, Gott – ihr den Menschen genommen, den sie am meisten liebte. Sie kam sich wie ein Schiff vor, das – obwohl mehrfach gestrandet und die Klippen gerammt – weiter und weiter die Wellen pflügte, während andere längst untergegangen waren. Sie war müde. Viel Arbeit war bis heute unerledigt, viel vorhandene Liebe verborgen, viele Worte noch nicht gesagt. Und doch: Vielleicht – und dieser Gedanke kam ihr zum ersten Mal in ihrem Leben – vielleicht war nun tatsächlich die Zeit gekommen, Abschied zu nehmen.
Nur eines passte ihr nicht: dass Liudprand seine Freude und Genugtuung daran haben würde, sie vor allen Römern bloßzustellen. Bei dem Gedanken daran ging ihr Herz schneller, und ihr Atem wurde hörbar. Dieser hetzende Mönch wollte nicht nur ihren Nacken auf dem Pflock sehen, er wollte sie erniedrigen, und das durfte nicht sein. Das war sie sich selbst schuldig, dagegen mit letzter Kraft anzugehen. Aus diesem Grunde war sie hierher gekommen. Es war so weit. Sie hörte Geräusche von der Pforte her. Ohne sich umzuwenden, zog sie ihre Hand von dem Sarkophag zurück.
Nach und nach hellte die düstere Kapelle sich auf. Zwei Fackeln und vier Kerzen entzündete Liudprand von Cremona, bevor er sich wie jeden Abend zur selben Stunde auf den kalten Stein vor dem Altar niederkniete und die Hände vor seinem Gesicht faltete. Doch schon einen Moment später schien ihn etwas zu stören. Er schaute sich unsicher um – und sah Marocia im Gebet versunken. Noch ehe er sich wieder abwenden konnte, erwiderte sie seinen Blick und nickte ihm höflich zu.
Er gab ihr den Gruß nicht zurück, sondern starrte grimmig zum Altar. Dann schloss er die Augen. Er versuchte, sich zu konzentrieren, aber ständig meinte er die Augen der Papsthure auf sich ruhen zu sehen. Eine Weile widerstand er dem Impuls, noch einmal aufzublicken, doch irgendwann hielt er es nicht mehr aus.
Er hatte sich geirrt. Andächtig wie die frömmste Christin auf Erden schien Marocia stumm die Litaneien herunterzubeten. Ohne Pause öffneten und schlossen sich ihre Lippen. Dazu ihre demütigen Gesten, das schickliche Gewand, das in so krassem Gegensatz zu ihrem Auftreten am Morgen stand – es gab nichts an ihrer Anwesenheit auszusetzen, und doch lenkte sie ihn ab.
Erneut
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