Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Am »Heck« des Schiffes lag ein verfallenes Klosterhospital, das lange Zeit der Behandlung von Aussätzigen gedient hatte, aber vor über einhundert Jahren aufgegeben worden war. Auf dem »Bug« befanden sich die Ruinen des altrömischen Tempels des Äskulap, des Gottes der Heilkunst und der Gesundheit. Da Marocia sich weigerte, die Villa Sirene zu betreten, deren Erbin sie war, jedoch eine eigene Residenz benötigte, kam sie auf einen eigenwilligen Gedanken.
»Hier werden wir wohnen!«, rief Marocia so laut, als wolle sie der ganzen Welt ihren Besitzanspruch kundtun.
»Hier?«, riefen Eudoxia und Alberic gleichzeitig, und auch Guido sah sie skeptisch an.
»Aber ja, wieso nicht? Ich werde die beiden Ruinen der Insel zu einer Villa verbinden lassen, ohne ihnen den ursprünglichen Charakter zu nehmen.«
»Ein Tempel und ein Kloster?«, fragte Guido. »Das könnte am Ende komisch aussehen. Und dürfte Anstoß erregen.«
Marocia zuckte mit den Schultern. »Alles ist besser als der byzantinische Stil. Ich kann diese Rundbogenfenster und stockdünnen Säulen nicht mehr sehen.« Sie blickte ihren Schwager freundschaftlich an. »Schade, dass Ihr die Bauarbeiten nicht verfolgen könnt.«
Guidos Blick verdunkelte sich bei dem Gedanken, nach Norditalien marschieren zu müssen. Hugo hatte seine Unterstützung im Kampf gegen Ansgar und Berengar dem Jüngeren angefordert. Dieser Krieg war nötig, um das Erreichte zu festigen, das sah auch Guido ein. Was ihn störte, war nicht Hugos Ersuchen an sich, sondern der harsche, befehlende Ton, den er dazu benutzt hatte. Auf Stolz und Ehrgefühl nahm sein Halbbruder und designierter König scheinbar keine Rücksicht.
»Autsch!«, rief Eudoxia. Ohne es zu merken, hatte Guido die Hand von Marocias Tochter gequetscht. Er entschuldigte sich sofort und fragte auch Alberic, den er an der anderen Hand führte, ob er ihm wehgetan habe. Der Junge verneinte, aber Guido konnte an seinem Gesicht sehen, dass er log, um keine Schwäche zeigen zu müssen, eine Eigenschaft, die er wohl von seiner Mutter geerbt hatte.
»Du bist schon ein kleiner Ritter«, lobte er ihn und empfing dafür ein dankbares Lächeln dieses ansonsten ernsten Burschen. Dann wandte er sich wieder an Marocia, der er noch eine Antwort schuldig war. »Ich werde in wenigen Tagen aufbrechen«, erklärte er. »Aber bevor ich gehe, muss ich Euch noch etwas sagen. Ich überlege schon die ganzen Tage, ob ich es wagen darf . . .«
Er brach ab und blickte nacheinander Eudoxia und Alberic an.
Marocia verstand. Sie sah sich nach einem geeigneten Platz um, wo die Kinder spielen konnten, und machte am anderen Ende der Tiberinsel einen Haufen umgestürzter Säulen und Mauern aus, den bereits andere Kinder für sich entdeckt hatten. Das war gleich eine gute Gelegenheit, Eudoxia und Alberic in Kontakt zu den Menschen Roms zu bringen. Sie sollten nicht so isoliert aufwachsen, wie sie es früher selbst in der Villa Sirene erdulden musste.
»Wir holen euch gleich wieder ab«, sagte sie und schickte die Kinder los.
An einem seichten Uferstück der Isola Tiberina setzte Marocia sich in den Sand. Sie warf ihren Mantel ab, raffte das Kleid bis zu den Knien hoch und streckte die Füße in den sanften Wellengang des Flusses. Das Wasser war frisch. Marocia schloss einen Moment die Augen und genoss das Gefühl, wieder zu Hause zu sein, mehr noch, dieses Zuhause vollständig für sich zu haben, ohne jemanden, der ihr dieses oder jenes verbieten konnte. Seit sechs Wochen nun war sie die Senatrix von Rom, aber jetzt erst, die Wasser des Tibers auf ihrer Haut, begriff sie, was das tatsächlich für jeden kommenden Tag ihres Lebens bedeutete. Sie hatte das erste große Ziel ihres Lebens erreicht, sie war frei.
Noch einen weiteren Atemzug lang ergab sie sich diesem durchdringenden Gefühl von Erfolg, dann sah sie Guido an und sagte: »Sprecht freiheraus.«
»Es geht um Hugo«, gestand er.
»Das habe ich mir gedacht. Streitet Ihr Euch mal wieder mit ihm?«
»Wenn schon, dann streitet er sich mit mir, nicht umgekehrt«, entgegnete er ärgerlich.
Marocia schmunzelte. Männer konnten manchmal unsäglich eitel und empfindlich sein. »Es tut mir Leid. Ich habe mich ungeschickt ausgedrückt.«
Guido sah ihr nun fest in die Augen. »Ihr macht Euch etwas vor, was Hugo betrifft.«
Marocia runzelte die Stirn. »Inwiefern?«
»Er ist nie zufrieden. Das Erreichte bedeutet ihm gar nichts.«
»Schön, er ist ehrgeizig. Das bin ich auch. Was ist schlimm
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