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Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste

Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste

Titel: Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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versuchte er, sich dem Gebet zu widmen. »Pater noster qui es in coelis, sanctificetur . . .«
    Diesmal unterbrach ein Rauschen seine Vertiefung. Er drehte sich um. Seine Pupillen zogen sich zusammen, so als fixiere er ein Ziel – oder eine Beute. Vor ihm stand Marocia, und ihre Nähe war ihm ein Gräuel. »Was willst du? Um Vergebung bitten? Gib dir keine Mühe. Wirf dich lieber dem Allmächtigen zu Füßen, und bitte ihn vor dem Himmelstor um Gnade für deine zahllosen Sünden. Und nun geh weg, Weib. Du bist das Übel der Welt.«
    Als habe sie ihn nicht gehört, kniete sie sich neben ihn, und als er empört aufstehen wollte, hielt sie ihn am Arm fest. Liudprand war ein von Natur aus dürrer, schwächlicher Mann, den die asketische Lebensweise der Cluniazenser zusätzlich verschrumpelt hatte. Gegen Marocias festen Griff und unbändigen Willen konnten seine Sehnen nicht ankommen.
    »Ja, ich habe Euer und Gottes Gericht akzeptiert«, rief sie, »weil ich absichtlich gegen Eure Autorität und damit die des Kaisers gehandelt habe, um mein eigen Fleisch und Blut zu schützen. Und ich habe auch zugelassen, dass Ihr nicht bloß meine Tat, sondern mein ganzes Leben vor Gericht zerrt, meine Art zu denken und zu fühlen.«
    Er zerrte vergeblich, um von ihr wegzukommen. Sie rief weiter: »Aber Ihr werdet mich nicht vor den Menschen, die an mich geglaubt haben, als Frevlerin demütigen. Wenn Ihr diesen Plan weiter verfolgt, Vater, werde ich ohne Bedenken die Grundfesten Eurer ach so gelobten Kirchenreform erschüttern.«
    Liudprand ertrug das Funkeln in Marocias Augen nicht und wandte sein Gesicht ab. »Du wagst es, der Heiligen Kirche zu drohen?«
    Sie beugte sich nahe an sein Ohr. »Ich habe den Weg Eurer liebsten Ordensheiligen gekreuzt, und ich weiß, welche Geschäfte ich mit ihnen gemacht habe, viele Jahre lang. Wenn die Christenheit das alles erführe . . . Was wäre diese Reform der Reinheit dann noch wert? Wer würde Euren Ideen noch glauben? Welcher Papst würde nicht die Gelegenheit ergreifen, Euch alle Privilegien Eures Ordens wieder abzunehmen?«
    Liudprand ergriff seinen Stock, um die Spitze im Zorn auf den Boden zu rammen, doch im letzten Moment hielt er inne. Seine Zähne knirschten aufeinander. Plötzlich fuhr er herum und hieb Marocia mit dem Holz an den Kopf. Sie taumelte, fiel und griff sich an die Stirn. Als sie ihre Finger betrachtete, waren diese rot vom Blut. Sie sah auf. Liudprand ließ seinen Stock fallen, erschreckt von seiner eigenen Tat. Obwohl er selbst über wenig körperliche Kraft verfügte, reichte er Marocia den Arm und half ihr wieder auf die Beine. Er schluckte.
    »Das . . . das warst du, Weib«, sagte er.
    Marocia schwieg. Sie war benommen, und ihr war elend. Langsam torkelte sie zur Pforte. Dort holte sie die Stimme des Bischofs noch einmal ein; sie war schon wieder voller Überzeugung.
    »Gott und der Teufel haben dich zu ihrem Schlachtfeld gemacht, Weib. In dir tragen sie ihr ewiges Gefecht aus. Ob du es nun willst oder nicht: Du lockst das Schlechteste an den Menschen hervor. Das Schlechteste an uns Männern. Denke an dein Leben, und dann befrage dich selbst. Ist es nicht so? War es nicht immer so?«
    Liudprand gellte weiter und weiter, aber Marocia war schon zu weit weg, um ihn noch zu verstehen. Sie ging schwer atmend die Rampe innerhalb der Engelsburg hinauf.

26
Anno Domini 924
    Ein frühherbstlicher Dunst strich über die Strömung des Tibers und tauchte das Ufer in ein milchiges, unwirkliches Licht. Die morgendliche Betriebsamkeit eines erwachten Rom schwoll langsam an, aber noch erfüllten das leise Plätschern der Wellen und der Geruch von Algen die Luft. Zum ersten Mal, seit sie vor zwei Wochen in Rom eingezogen war, gönnte Marocia sich einen Spaziergang mit ihren beiden jüngeren Kindern sowie ihrem Schwager Guido. Doch selbst jetzt konnte sie nicht von den Geschäften lassen, denn sie hatte auch den Führer des Magistrats, den
primus magistratus,
gebeten, sie zu begleiten.
    Vor dem Markt, zu dem sie damals mit Sergius gegangen war, blieb sie stehen. Viel hatte sich in den fünfzehn Jahren seither nicht geändert: wenige Stände, ein mageres Nahrungsangebot, und die Artisten und Gaukler, die normalerweise auf jeden Markt gehörten, blieben fort – diesmal, weil sie hier nichts verdienen konnten. Die Situation der Armen war noch schlimmer geworden und ihre Anzahl größer. Jeden Tag stürzten irgendwo Häuser ein, weil sich niemand um sie kümmerte. Krankheiten grassierten,

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