Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Provence und Vienne . . . Eben stand sie noch am Abgrund, und nun flog sie darüber hinweg. Noch in der gleichen Stunde unterzeichnete sie ein Eheversprechen, das mit eiligem Kurier nach Norden geschickt wurde.
In der Nacht gelang es Marocia vor Aufregung nicht, zu schlafen, und da plötzlich begriff sie, weshalb Damiane auch Alberic vergiftet hatte. Verwirrt und verzweifelt und des Todes gewiss, hatte diese Freundin ihr einen letzten Gefallen erweisen, eine Wiedergutmachung für ihren Verrat leisten wollen. Marocia wurde ein neues Leben ermöglicht, an der Seite eines geliebten Mannes. Mit ihm gemeinsam konnte Marocia jetzt ihre Träume von einem neuen Rom und einem neuen Land erfüllen, und sie ertappte sich dabei, wie sie Damiane für ihre Tat insgeheim dankbar war.
Doch alles ergab nur dann einen Sinn, wenn es gelänge, Rom zu erobern.
25
Die Fenster des Schlafgemachs in der Villa Sirene waren mit schweren schwarzen Samtstoffen verhängt. Theodora lag mit einem Nachtgewand bekleidet bewegungslos auf ihrem Bett, stumm, mit zusammengebissenen Zähnen. Ihre Augen waren wach, aber ihr Atem war wie ein dünner Faden, der jederzeit reißen konnte. Um sie herum knicksten die Dienerinnen und senkten die Köpfe, aber nicht aus Ehrfurcht oder Trauer um sie. Der Papst und Kardinal Desiderius waren gerade eingetreten.
»Lasst uns allein«, befahl Johannes. Er wartete, bis alle gegangen waren. »Und?«, fragte er Desiderius flüsternd.
»Der Arzt sagt, sie könne noch zwei oder drei Tage leben.«
»Verdammt«, zischte Johannes leise durch die Zähne. So viel Zeit hatte er nicht. Wenn die Aufständischen Rom erst einmal gewaltsam in ihre Hand gebracht hatten, war zu befürchten, dass sie ihn absetzten. Am liebsten hätte er die Tore geöffnet, doch solange Theodora lebte, war das nicht möglich. Sogar ihr untergehender Stern strahlte noch mächtiger und heller als sein päpstliches Wort. Die Milizen gehorchten immer noch ihr.
»Du hast die Dosis zu gering angesetzt«, kritisierte Johannes. »Ich will nicht, dass Marocia ihre Mutter noch lebend antrifft.«
Desiderius hatte im Laufe der Jahre die Motive und Gedanken des Papstes immer besser verstehen gelernt, aber manchmal waren sie selbst ihm zu irre, um ihnen zu folgen. »Warum das?«
Johannes verdrehte die Augen, als müsse er etwas absolut Naheliegendes erklären. »Weil Marocia sofort merken soll, dass der Platz an meiner Seite nun endgültig frei geworden ist.«
Desiderius schnappte nach Luft, um etwas zu sagen. Doch dann ließ er es besser sein – die Irrtümer des Papstes konnten ihm nur nützlich sein.
»Ich weiß«, fuhr Johannes fort und setzte sich auf den Bettrand zu Theodora. »Sie heiratet diesen Hugo, jedoch nur, um die Koalition zusammenzuhalten. Sobald sie ihr endgültiges Ziel erreicht hat, trennt sie sich wieder von ihm.«
»Ihr endgültiges Ziel?«, fragte Desiderius, obwohl er die Antwort schon ahnte.
»Mit mir gemeinsam Rom regieren.«
Johannes konnte nicht sehen, wie Desiderius hinter ihm spöttisch grinste, denn er vertiefte sich in den Anblick Theodoras. Einzelne Strähnen ihrer filzigen grauen Haare verdeckten Teile des Gesichts, aber die schlaffen Lider und der trockene, zuckende Mund entgingen Johannes nicht. Noch immer schimmerte ihre Haut bronzefarben, und irgendwie war es ihr über die Jahre auch geglückt, sie verhältnismäßig glatt zu halten, und doch wirkte sie in diesem Augenblick nur wie eine übergezogene Lederhaut, eine primitive, vorzeitliche Totenmaske. Vor einem Vierteljahrhundert, als junger Mann, hatte er am Sterbebett seiner früheren Gönnerin gesessen, Ageltrudis, und sich damals ein Versprechen gegeben. Nie wieder wollte er sich von einer Frau bestimmen lassen, nie wieder eine Puppe sein. Diese Frau vor ihm war daran schuld, dass er über fünfzig Jahre alt werden musste, um endlich frei zu sein.
Langsam streckte Johannes seine Hände aus und legte sie Theodora um den Hals. Unter ihrem Druck weiteten sich Theodoras Augen, bog sich ihr Körper in die Höhe, zitterten ihre Arme. Fast gelassen erhöhte Johannes die Spannung. Desiderius trat neben ihn, doch er beachtete ihn nicht. Keine Sekunde ließen seine Augen von der Betrachtung der kämpfenden, sterbenden Theodora ab, und bis zuletzt hielt er ihrem Blick stand, diesem Blick von seltsamer Zuneigung, selbst im Tod.
»Desiderius, lass die Tore öffnen«, befahl er lapidar, als seine Hände endlich von Theodora abließen.
»Rom heißt seine Kinder willkommen.«
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