Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
ihrer Terrasse aus in den Tiber gegossen, nachdem sie viele Stunden dem Spiel der Strömung zugesehen hatte. Aber ein skrupelloser Mörder, wusste sie, glaubt immer auch an die Skrupellosigkeit der anderen, und so würde es wohl viele Stunden dauern, vielleicht einen ganzen Tag und eine ganze Nacht, bis Johannes begriff, dass er nur getäuscht worden war.
»Leb wohl«, sagte sie und verließ das schmutzige Gefängnis, das Johannes bis zu seinem natürlichen Lebensende Heimat bleiben würde.
Tatsächlich fand man ihn nur wenige Wochen später an seinem Gewand erhängt in der Zelle.
Zur gleichen Zeit, als Marocia nach dem verschwundenen Desiderius suchen ließ und der Kardinalskurie einen Nachfolger für den abgesetzten Johannes empfahl, kapitulierte Boso in seiner letzten Bastion Valence an der Rhone.
Hugo erwartete die Unterwerfung seines Bruders unter dem Baldachin am Eingang seines Zeltes. Es regnete in Strömen, und Boso blieb nicht die Demütigung erspart, im Angesicht der niederburgundischen Ritterschaft minutenlang im erdigen Schlamm des Flussufers zu knien. ». . . hiermit also übergebe ich alle Burgen, Schlösser und Waffen meinem Bruder Hugo und unterwerfe mich seiner königlichen Gnade.«
Hugo grinste zufrieden, während Boso weiter im Schlamm kniete und dem Wolkenbruch schutzlos ausgesetzt war. Abwechselnd blickte er in den dunkelgrauen Himmel und die schwarze, boshafte Miene des Siegers. Doch dieser erlöste ihn nicht aus seiner erniedrigenden Stellung, sondern genoss sichtlich jeden einzelnen Augenblick. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis Hugo endlich rief: »Das hast du schön aufgesagt, geliebter Bruder. Was glaubst du, hält meine königliche Gnade für dich bereit?«
Boso schluckte. Er öffnete den Mund, wusste jedoch nicht, ob er etwas sagen sollte, und wenn ja, was. Hugo konnte jetzt, rein rechtlich gesehen, alles mit ihm machen, ihn erschlagen, ihn als Bettler durch die Straßen ziehen lassen, verbannen oder lebenslang in den Kerker werfen. Gedankenverloren wollte Boso sich erheben, aber Hugo ging dazwischen.
»O nein, schön unten bleiben!«, rief er. Der Regen nahm zu, und der Wind peitschte derart stark von der Seite, dass Boso sich immer wieder abstützen musste, um nicht zu kippen.
»Also, geliebter Bruder«, schrie Hugo gegen den Lärm des Wetters an. »Höre gut zu. Ich werde dich zunächst zum Bischof von Orange machen.«
Boso staunte. »Ich? Ein Bischof?«
»Ja, das ist doch lustig, nicht? Aber deswegen tue ich es nicht. Vermutlich werde ich dich schon bald in Italien benötigen, wo du durch meine Vermittlung eine Provinz erhalten wirst. Leider«– er schnitt eine Grimasse –»kann ich die Provinzen nicht endlos unter meiner direkten Kontrolle halten. Ein ehemaliger Bischof von Orange hingegen, selbst wenn er mein Bruder ist, dürfte weit weniger Kritik erregen.«
Bosos Augen begannen zu flackern. »Welche Provinz willst du mir geben?«
»Das erfährst du, wenn es soweit ist. Und noch eines: Sollte es dir einfallen, dich auf irgendeine Weise rächen zu wollen . . .« Hugo musste den Satz nicht vollenden, um sich verständlich zu machen. Er warf Boso eine Kette mit Amulett zu, sie landete schmatzend im Schlamm.
»Das Symbol deiner Bischofswürde«, sagte Hugo und ging ohne ein weiteres Wort davon.
In seinem Zelt wartete bereits ein Besucher auf ihn.
Hugo kannte ihn kaum; er wusste bloß, dass dieser Mann einst sein und Marocias Feind gewesen war, was bereits reichte, um seine Neugier zu wecken. Feinde, hatte er herausgefunden, waren meist viel interessanter als Freunde.
Desiderius hatte seinen weiten, regengetränkten Mantel protokollgemäß noch nicht abgelegt. Er verneigte sich tief und stumm und wartete auf eine Geste, die es ihm erlaubte, zu sprechen. Hugo warf sich auf einen der Stühle, kreuzte die Beine auf dem Tisch und musterte Desiderius wie ein Wolf den anderen. Schließlich schenkte er sich und ihm einen Becher Wein ein.
»Rede!«
»Euer Gnaden, ich komme mit der bedeutenden Botschaft aus Rom«, verkündete Desiderius, »dass Papst Johannes X. von Eurer Gemahlin abgesetzt wurde, da er eine Verschwörung gegen die Königin und Euch plante.« Desiderius begann, seine Version des Komplotts zu erzählen, doch als er fertig war, konnte er weder ein aussagekräftiges Mienenspiel beim König entdecken noch irgendeine andere Reaktion ernten. Wie aus Holz geschnitzt, saßen Monarch und Kardinal sich eine Minute lang gegenüber, und nur ihre beweglichen Augen
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