Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
abwechselnd Guidos Wunde verband und in die Schwärze des rauschenden Tibers blickte. »Töte ihn!«, rief Alberic, der sich seit dieser ereignisreichen Nacht als gleichwertigen Ratgeber für seine Mutter empfand. »Er muss für sein Verbrechen bezahlen.«
Damit meinte der Elfjährige keineswegs den Diener, der vor wenigen Minuten alles gestanden hatte. Nein, Alberic empfahl, den Papst umbringen zu lassen, der es gewagt hatte, die Herrschaft seiner Mutter zu bedrohen – und damit auch seine, Alberics, künftige Herrschaft.
»Wenn Ihr ihn jetzt schont«, pflichtete Clemens seinem Halbbruder in seltener Übereinstimmung bei, »habt Ihr beim nächsten Mal vielleicht nicht so viel Glück, Mutter.«
Marocia reagierte auf die Ratschläge ihrer Kinder nicht. Sie tupfte Guidos Oberarm ab, legte einige Blätter des Beinwells auf die getrocknete Wunde und umwickelte diese mit einem Stoff. Guido verzog zwischendurch das Gesicht in kurzem Schmerz, aber er stöhnte kein einziges Mal. »Wenn Ihr Euch dazu entschließt«, merkte er an, »müsst Ihr dafür sorgen, dass es nicht öffentlich wird. Jeder darf ahnen, dass Ihr hinter der Beseitigung des Papstes steckt, aber niemand darf es wirklich wissen, versteht Ihr?«
Marocia zog eine letzte Schlaufe fest. »So«, sagte sie. »Das Kraut müsste eine Entzündung verhindern.«
»Was werdet Ihr nun tun, Mutter?«, fragte Clemens ungeduldig. Und Alberic fiel ein: »Ja, nun sagt schon.«
»Darüber nachdenken«, antwortete sie. »Und zwar allein.«
Unter allgemeinem Murren scheuchte sie Alberic, Clemens und Guido von der Terrasse. Sie löschte die Fackeln bis auf eine einzige und setzte sich auf die Terrassenmauer. Die Umrisse der Stadt gewannen im dämmernden Morgen langsam an Kontur. Marcellus-Theater und Kapitol hoben sich sanft vor dem Horizont ab. Aber die Stadt war noch nicht erwacht. Noch schliefen die Römer, nicht ahnend, was dieser kommende Tag an Neuigkeiten für sie bereithalten würde. Marocia wusste es ja selbst noch nicht.
Sie griff in die Innentasche ihres Gewandes und holte einen Flakon hervor. Darin befand sich jenes Gift, das Johannes ihr einst gegeben hatte, um damit Sergius umzubringen. Vor vielen Jahren hatte Marocia geschworen, es nie mehr zur Sprache zu bringen oder einzusetzen, solange ihre Mutter lebte. Nun, ihre Mutter war tot. Lange blickte Marocia, das Gift in Händen, in den grauenden Morgen.
Die Sonnenstrahlen fielen schräg durch ein einziges schmales Fenster einige Meter über dem Boden und warfen ihr Licht auf die mit Steinen eingeritzten Kritzeleien der Wände. Zögerlich betrat Marocia die geräumige, schmutzige Zelle in der ehemaligen Prätorianerkaserne und dem heutigen Hauptquartier der Stadtmiliz. Schon in der Antike war dieses Gefängnis vornehmlich besonderen Häftlingen vorbehalten gewesen, und für einen Moment hing Marocia dem Gedanken nach, an diesen verwitterten Wänden vielleicht ein letztes, dürftiges Testament an die Nachwelt zu finden, von der tragischen Agrippina vielleicht, oder von der christlichen Kaiserschwester Domitia, die ihren Glauben vor achthundertfünfzig Jahren mit dem Leben bezahlt hatte.
Ein Rascheln lenkte ihren Blick jedoch an das andere Ende des Raumes. Dort saß Johannes auf einer strohbedeckten Pritsche, kaute auf einem Stück Brot herum und spülte es mit einem großen Schluck Falerner hinunter. Er sah schrecklich aus, mit schwarzen Rändern unter den Augen und zerknitterten Wangen. Er hatte, mit einem Rest von Jugendlichkeit ausgestattet, stets gut ausgesehen, selbst als er im letzten Monat sein sechzigstes Wiegenfest gefeiert hatte. Aber nach einer Nacht in dieser Zelle war aller äußerlicher Charme von ihm abgefallen – anderen hatte er ohnehin nie besessen.
»Ah«, rief er matt. »Die Senatrix, lebendig wie eh und je. Bist du gekommen, mir das Letzte zu nehmen, was von meiner Papstwürde übrig geblieben ist?« Er zupfte kräftig an seinem weißen, goldbestickten Gewand.
»Mehr als das hat dich nie zu einem Papst gemacht«, parierte sie, verlor aber schnell die Lust an Wortspielen. Sie ging einige Schritte auf ihn zu, blieb jedoch in angemessener Entfernung stehen. Sie meinte es ernst, als sie fragte: »Warum, Johannes?«
»Warum was?«
»Ich habe dir nichts getan, habe dich gewähren lassen. Du hättest steinalt werden können auf deinem Papstthron. Warum wolltest du mich also umbringen lassen?«
Er hob seine Schultern, hielt sie einen Moment, ließ sie dann wieder abrupt fallen. »Weil du ein
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