Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
erkennen, dass er nichts, absolut nichts von allem, was sie betraf, vergessen hatte. Er hätte ihr jedes Kleidungsstück und jeden Schmuck beschreiben können, den sie bei ihren Begegnungen getragen hatte, und er hätte vermutlich auch jedes einzelne gesprochene Wort wiedergeben können. Ein wohliges Gefühl erfasste sie bei dem Gedanken, ihre gemeinsamen Unterhaltungen noch einmal zu führen – sie hatte auch kein Wort vergessen.
Plötzlich spürte sie, wie seine Hand sich auf ihre legte. Sie schloss die Augen. Diesen Moment hatte sie erhofft – und gefürchtet. Eine Legion von Gefühlen tobte in ihr: Liebe, Freundschaft, Zuneigung, wehmütige Erinnerung, Schwärmerei, alles das hatte sie zu verschiedenen Zeiten schon einmal für Lando empfunden, nichts davon war endgültig gewesen.
Lando öffnete den Kragen seines Gewandes und neigte sich zu ihr. Seine Lippen spielten zärtlich an ihrem Ohr, sein Bart strich über ihre Wange. »Ich liebe dich«, hauchte er. »Ich habe dich immer geliebt, und ich muss es endlich aussprechen, sonst mache ich mir bis an mein Lebensende Vorwürfe. Ich weiß nicht, was damals mit dir war, aber ich bin mir sicher, dass du mich auch geliebt hast.«
Der obere Teil seines Gewandes stand offen. Lando nahm Marocias Hand und führte sie langsam an seine Brust. Sie ließ es geschehen. Ihre Lippen formten unentschlossene Küsse, ihr Kopf bettete sich in seine Hand. »Sag es«, bat er. »Sag es.«
»Ich . . .« Sie zitterte. Es war wie ein Ertrinken: Worte, Bilder, Gedanken, Emotionen überfluteten sie. »Es ist alles so schwierig«, brachte sie schließlich hervor.
Lando hielt auf der Stelle inne. »Schwierig?«
Marocia rang nach Luft. »Bist du eine Versuchung, Lando, oder mein Glück? Ich weiß es nicht.«
Er sah sie an, kämpfte gegen das, was er eben gehört hatte.
»Versteh doch«, fügte sie hinzu. »Wir sind beide älter geworden, meine Ehe . . . Alles hat sich verändert.«
»Meine Gefühle für dich nicht.«
Sie senkte den Kopf. »Mag sein«, räumte sie sanft ein. »Auch ich habe . . . ich meine, du bist für mich noch immer ein . . .«
»Ja?«
»Ein wichtiger Mensch in meinem Leben.«
Er holte tief Luft, um zu protestieren, aber sie kam ihm zuvor.
»Bitte, Lando, das ist keine Floskel. Ich meine es ernst. Aber die Situation, in der wir uns heute befinden, gleicht in nichts der damaligen, das musst doch auch du sehen. Als wir uns kennen lernten, war ich quasi die Konkubine des Papstes und später dann, als wir uns hier in Rom wieder sahen, mit einem ungeliebten Mann verheiratet. Heute habe ich Hugo, der mich auf Händen trägt, und ich bin Königin.«
Lando sprang von der Mauer ins hohe Gras. »Verzeih«, sagte er mit abgewandtem Gesicht. »Ich hätte sehen müssen, dass ich immer nur eine Notlösung für dich gewesen bin, eine angenehme Ablenkung.«
»Aber Lando, so habe ich das doch nicht . . .«
»Dich trifft keine Schuld«, unterbrach er. »Du hast mir nie etwas vorgemacht. Bei unserer letzten Begegnung, damals in der Campagna, hast du mich fortgestoßen und nie mehr zurückgerufen. Aber ich . . . in meiner Fantasie . . .« Er bedachte sie mit einem Blick, den sie nicht von ihm kannte. Lando war so offensichtlich verletzt, so fühlbar gedemütigt, dass es ihr das Herz brach. Für einige Sekunden fehlten ihr die Worte und der Atem, um etwas zu entgegnen, und genau in diesem Moment wandte Lando sich endgültig ab und eilte durch das hohe Gras davon.
Marocia sah ihm nach. Sie konnte nicht weinen, dafür saß der Schreck dieses plötzlichen Abschieds noch zu tief. Wieder hallten die Worte ihres Vaters in ihr nach: Du musst für alles, was du vom Leben begehrst, einen Preis bezahlen, manchmal einen sehr hohen Preis. Also überlege dir gut, was du haben willst.
Marocia saß noch sehr lange auf der Mauer, umgeben vom Gesang der Zikaden, und dachte darüber nach.
31
Klack, klack, klack. Hugos Schritte hallten im Takt des Uhrwerks, das an der Wand hing, durch den Korridor des Rathauses in Lausanne. Der lange Zeiger des klobigen mechanischen Chronometers hatte schon drei volle Umdrehungen hinter sich, und noch immer tagte der Kronrat von Hochburgund hinter der Eichentür. Mehr als einmal war Hugo versucht, in den Beratungsraum zu stürzen und die Versammelten mit Drohungen zu überziehen, um ihnen die Entscheidung zu erleichtern. Wussten diese Narren denn nicht, dass er in Niederburgund bereits ein Heer sammeln ließ?
Seine Faust klopfte gegen die Wand.
»Was gibt es
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