Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
denn da noch zu beraten?«, presste er zwischen den Zähnen hervor. Doch wie schon manches Mal an diesem wolkenverhangenen Morgen rieb er sich die Nasenwurzel, atmete tief durch und befahl sich Geduld.
Die musste man haben in diesem zerklüfteten, ein wenig hinterwäldlerischen Land, das hatte er seit seiner Ankunft vor vielen Wochen immer wieder erlebt. Hugo rechnete. Zuerst dauerte es volle drei Tage, bis er die Genehmigung erhielt, den siechen König Rudolph auf dem Sterbebett zu besuchen, um ihn aufzufordern, ihn als Erben einzusetzen. Daraufhin passierte weitere neun Tage nichts, Tage, in denen Rudolph jederzeit hätte sterben können, ohne eine Entscheidung getroffen zu haben. Als er sie dann doch traf, war es im Grunde keine: Rudolph bewilligte die Verlobung seines wenige Jahre alten Töchterchens Adelheid mit Hugos Sohn Lothar, doch er überließ die Zukunft Burgunds dem Kronrat. Sieben Tage später war er tot. Die Bestattungszeremonie währte weitere sieben Tage, und nun traf der Rat zusammen – und beriet seit vorgestern.
Hugo sah aus dem Fenster. Glatt wie ein Spiegel lag der See vor ihm, so, als könne man mit bloßen Füßen auf ihm wandeln. Kein Lüftchen störte diese silbergraue Ebene, die herbstlichen Blätter fielen nach und nach wie von selbst von den Bäumen auf sein Wasser und trieben unmerklich davon. Die Zeit schien hier langsamer zu gehen, aber der unaufhörliche Lauf des Chronometers bewies etwas anderes. Hugo fluchte: »Während ich hier herumsitze und tagein und tagaus auf diesen See starre, rüstet der Ostfranke wahrscheinlich schon zum Einmarsch.« Seine Faust schmetterte gegen das Glas und rief einen Riss hervor. »Eines Tages werde ich auch Heinrich bezwingen, aber erst einmal verjage ich die Byzantiner, und dann . . .«
Die schwere Eichentür öffnete sich. Ein Dutzend betagter und graubärtiger Herren, die sich alle irgendwie ähnelten, stellten sich in ihren durchgehend schwarzen Gewändern auf dem Korridor auf und verneigten sich leicht vor dem ausländischen König. Der älteste von ihnen räusperte sich und trat einen Schritt vor. »Euer Gnaden. Der Hohe Rat von Hochburgund ist zur Erkenntnis gelangt, dass Eure entfernte verwandtschaftliche Beziehung zum Königshaus nicht ausreicht, um einen Anspruch auf die Krone zu rechtfertigen. Des Weiteren . . .«
Hugos Augen schienen zu brennen. »Soll das heißen, Ihr wagt es, mich abzuweisen?«
Der Älteste der Räte blickte sich unsicher nach rechts und links zu seinen Kollegen um und holte sich dort ein zögerliches Kopfnicken ab. Erneut räusperte er sich. »Es gibt einen Weg zur Krone, Euer Gnaden, aber Ihr entscheidet selbst, ob Ihr ihn gehen wollt.«
Marocias Arbeitszimmer ähnelte weder dem ihrer Mutter noch irgendeinem anderen in Rom oder im ganzen Abendland. Sie schätzte die Wärme und Gemütlichkeit, die von sarazenischen Teppichen ausging, und sie zog auch die fein gearbeiteten und duftenden Möbel der Ungläubigen den wuchtigen Tischen, Truhen und Sesseln vor, die an anderen Höfen gebräuchlich waren. In dieser behaglichen Atmosphäre konnte sie viele Stunden Briefe schreiben und Berichte studieren, aber zwischendurch vertiefte sie ihren Blick auch immer wieder ins Kaminfeuer und entspannte bei einigen privaten Gedanken. In den letzten Tagen jedoch schwankte ihre Miene dabei immer zwischen tiefer Sorge, Melancholie und großer Freude, und keines dieser extremen Gefühle gewann die Oberhand.
Genau in einem solchen Augenblick ging die Tür auf, und Blanca kam herein, gehetzt und atemlos.
»Was machst du denn hier?«, rief Marocia, die ihre Halbschwester noch nie außerhalb des Klosters gesehen hatte.
»Entschuldige, dass ich mich nicht anmelden ließ. Ich bin sofort gekommen, als ich die Neuigkeiten gehört habe«, keuchte sie.
»Um Himmels willen, setz dich, Liebe. In einer solchen Verfassung habe ich dich ja noch nie gesehen.«
»So etwas ist ja auch noch nie passiert«, erwiderte Blanca, lehnte den angebotenen Stuhl ab und fiel Marocia stattdessen um den Hals.
»Wie verkraftest du das alles?«, fragte sie.
Mit einem Mal ahnte Marocia, worauf Blanca abzielte. Sie lächelte. »Wer hat geplaudert? Eudoxia? Nein, die weiß es ja auch noch nicht. Oder hast du eine Spionin unter meinen Zofen?«
»Wovon sprichst du?«
»Von dem Kind, das ich erwarte.«
Blanca starrte sie noch entsetzter an als zuvor und ließ sich auf den Stuhl fallen.
»Jesus und Maria!«, rief sie.
Diese Antwort ernüchterte Marocia. »Kein
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