Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
weiter. Hast du es denn nicht gehört? Rudolph von Hochburgund liegt im Sterben, und ich muss sofort dorthin, um den Kronrat auf meine Seite zu bringen.«
»Hugo«, sagte sie streng. »Das geht mir alles zu schnell. Italien, Niederburgund, jetzt Hochburgund und womöglich einen Kaisertitel . . .«
»Lass mich nur machen«, sagte er und winkte einen Stallburschen herbei, der ihm ein neues Pferd brachte. Mit dem gleichen Elan, den er schon vor dem Italienfeldzug hatte, schwang er sich auf den Gaul und zog straff die Zügel an.
»Zu Weihnachten tragen wir zwei Kronen mehr auf unseren Häuptern«, rief er. »Du kannst schon mal deinen Nacken stärken.« Er beugte sich hinunter, küsste Marocia rasch und hart auf die Lippen und ritt dermaßen schnell aus dem Palasthof, dass sie ihm noch nicht einmal ein Abschiedswort nachrufen konnte.
Die Kurie des altrömischen Senats auf dem Forum Romanum wurde schon seit Jahrhunderten nicht mehr als Versammlungsort der Stadtregierung genutzt. Die schwere Bronzetür versperrt, die Fenster verhängt, der Marmor verstaubt, dämmerte sie wie ein Mausoleum vor sich hin. Nur ein einziges Mal im Jahr erstrahlte sie in antiker Macht und Würde, dann nämlich, wenn die neu ernannten
defensores
, die
praetores, nomenclatores
und so weiter ihre Eide ablegten. Die Ränge waren gefüllt mit Würdenträgern, und den Thron, der früher den römischen Imperatoren diente, belegte nun Papst Stephan VII. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite der lang gestreckten Senatskurie, saß Marocia auf einem erhöht stehenden Sessel und verfolgte die Zeremonie, die jetzt auch Alberic vollziehen durfte.
Es war die fünfzehnte Wiederkehr seines Geburtstages, und die Tradition in den Familien des römischen Adels sah vor, dem Sohn zu diesem Anlass ein symbolisches Amt in Miliz, Verwaltung oder Klerus zu geben. Für Marocia war seine Investitur als
nomenclator
, als Fürsorger des Volkes, Schutzherr und Vertreter der Bedürftigen, jedoch eher praktisch als symbolisch. Sie hoffte, eine Aufgabe in der Stadt, die er liebte, würde ihn wieder aufrichten, eine Aufgabe vor allem, in der er vieles unmittelbar für die Menschen tun konnte.
Für Marocia war es ein ganz besonderer Augenblick, als ihr Sohn im Beisein aller Edlen vor Papst Stephan VII. niederkniete und das schwere Amulett entgegennahm. Er sah derart ernst und konzentriert aus, dass man meinen konnte, er empfange die Weltherrschaft. Danach legte ihm Marocia in ihrer Funktion als Senatrix selbst die purpurne Schärpe um und küsste ihn auf beide Wangen.
»Ich gelobe bei Gott dem Allmächtigen«, hallte seine klare, kalte Stimme durch den Saal, »der Stadt und ihren Bürgern meine ganze Kraft und Liebe zuteil werden zu lassen. Alles für Rom.«
»Alles für Rom«, stimmte sie mit dem übrigen Saal ein. Wie Alberic sich erhob, blickte er Marocia an. Seine grauen Augen schwankten zwischen der Dankbarkeit für die Verantwortung und einem undeutbaren Vorwurf, der in ihnen flackerte.
Als die Würdenträger aus der Kurie strömten, läuteten die Glocken zweier benachbarter Kirchen, und das versammelte Volk applaudierte. Alberic war sofort umringt von jugendlichen Gratulanten, die allerdings weniger den Würdenträger oder Freund in ihm sahen als den Sohn der Herrin von Rom. Doch damit zu leben musste er mehr denn je lernen.
Marocia stand ein wenig abseits und sah dem Treiben gedankenverloren zu. Sie erinnerte sich noch gut an die Zeit, als Alberic klein gewesen und durch den Garten des Schlosses in Assisi getollt war. Ihn nun hier in vollem Ornat der Amtsträger zu sehen, als Mann, ließ sie für einen Moment jeden Kummer vergessen. Ja, er würde allem gewachsen sein und eines Tages an ihrer Seite – und später allein – die Stadt regieren. Daran zu glauben hatte etwas Tröstliches in diesen Tagen.
»Euer Gnaden«, sagte plötzlich jemand hinter ihr, lupfte den Hut und verneigte sich. Die Sonne stand hoch über dem Palatin und blendete sie. Sie hielt schützend die Hand hoch und erkannte ihn: Lando. Seit dem unsanften Abschied in Capua hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Er sah völlig verändert aus und war doch gleich geblieben. Ein schwarzer, kurzhaariger Bart bedeckte sein halbes Gesicht, ließ ihn aber seltsamerweise nicht alt, sondern im Gegenteil jung wirken. Seine Augen umringten zahlreiche Falten, aber sie leuchteten so grün und dreist wie je. Sie sah ihn wie einen Geist aus ferner Vergangenheit an, aber schon im nächsten Augenblick stiegen die
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