Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
würde dich verraten, das einzige Wesen, das mich in dieser Gruft nicht finster anblickt?« Sie zog ein gequältes Gesicht. »Was würde deine Mutter sagen, wenn sie hörte, dass du einer anderen Mutter den Trost verweigerst?«
»Meine Mutter ist tot, Durchlaucht«, erwiderte dieses ansonsten piepende Mädchen mit gereiztem Unterton. »Vor zwölf Jahren ist sie in Ancona an der Armut gestorben.«
Marocia wusste, was das zu bedeuten hatte. Die Einwohner von Ancona im Herzogtum Spoleto waren zu jener Zeit von ihrem Gemahl Alberic mit einem hohen Strafgeld belegt worden. Den Grund hatte sie vergessen, die Folgen aber nicht. Die Hälfte der Bevölkerung wurde damals über Nacht zu Bettlern, viele starben. Widerstrebend musste Marocia einräumen, dass Hugo sämtliche Bewacher mit Bedacht ausgewählt hatte. Das Herz dieser Zofe würde sie jedenfalls nicht gewinnen, und bis auf weiteres im Dunkeln über die Vorgänge bleiben, die sich fast unter ihren Augen, in Sichtweite der Engelsburg, abspielten.
»Das werde ich nicht tun!«, rief Papst Stephan VII. mit brüchiger Stimme durch den Thronsaal des Lateran. Er war bereits sehr alt und hatte Mühe, Hugo Auge in Auge gegenüberzustehen, aber die königlichen Soldaten, die ihn flankierten, ließen ihm keine Wahl. Andererseits machte gerade dieses hohe Alter es ihm leicht, die Forderungen Hugos abzulehnen, denn das Schlimmste, das ihm angetan werden konnte, würde ihn ohnehin bald erwarten. »Niemals«, verlieh er seiner Weigerung Nachdruck.
Hugo schien davon unbeeindruckt. Er musterte die blauen und grünen Edelsteine, die ein Goldschmied ihm auf einem Samtkissen präsentierte und die ihm als Schmuck für die Kaiserkrone dienen sollten. Denn Desiderius stand in Byzanz kurz vor dem Abschluss seiner Verhandlungen. Nur noch wenige Monate . . .
»Und die Rubine?«, fragte Hugo.
Der Goldschmied verneigte sich. »Rubine sind teuer, Euer Gnaden.«
»Na und?«, entgegnete Hugo belustigt. »Sehe ich aus, als müsste ich sparen?« Er legte den Kopf in den Nacken und lachte, laut und lang, weiter und weiter, bis auch die anwesenden Gefolgsleute und der Goldschmied darin einstimmten. Ebenso plötzlich wurde Hugo wieder ernst. »Ich möchte einen großen Rubin in meiner neuen Krone, verstanden? Und wenn du keinen anständigen findest, nimm ihn dir aus dem Szepter des Papstes. Der braucht ihn ohnehin nicht mehr.«
Mit einem Wink schickte er den Goldschmied fort, und als dieser gerade durch die große Flügeltür den Thronsaal verließ, kam ihm das jüngere Ebenbild des Königs entgegen.
»Boso«, rief Hugo seinen Bruder heran. »Ich habe dich erst in drei Tagen erwartet.«
»Als ich deine Aufforderung bekam, bin ich sofort losgeritten.«
Hugo grinste. »Brav. Prächtig siehst du übrigens aus.«
Boso trug das bischöfliche Gewand, das er in seinem Bistum in Orange fast nie anzog. Doch für einen Auftritt im Lateran schien es ihm angemessen.
»Bruder in Christi«, flehte Papst Stephan den Geistlichen an. »Versündige dich nicht, indem du den Wünschen des Königs nachkommst. Bleibe standhaft, und bedenke . . .«
»Du verschwendest deinen Atem, alter Mann«, sagte Hugo und legte den Arm brüderlich um Bosos Schulter. »Der hier ist nicht mehr Bischof als ich ein Heiliger, nicht wahr, Boso?« Auf sein Zeichen packten die beiden Wachen Papst Stephan derart fest an den dünnen Oberarmen, dass sie zu zerbrechen drohten, und schleppten ihn hinaus.
Boso sah dem todgeweihten Pontifex nachdenklich hinterher, dann erklomm er die drei Stufen zum Papstthron und umschlich den Heiligen Stuhl. Seine Hand strich über die breiten, goldenen Armlehnen und das kostbare rote Polster. Er überblickte den weiten, fast leeren Saal, folgte dem fahlen Licht, das durch die Fenster strömte, und schweifte über die bunten Wandmalereien, deren Motive ihm allerdings überhaupt nichts sagten. Ein kurzer Schauer überlief ihn bei dem Gedanken . . .
»Darf ich mich einmal auf den Thron setzen?«, fragte er artig seinen königlichen Bruder.
Der zuckte mit den Schultern. »Da haben schon Schlimmere gesessen als du.«
Boso ließ sich langsam auf dem Stuhl Petri nieder. »Dieser Palast, dieser Saal . . .«, hauchte er. »Atemberaubend.« Er konnte kein König mehr werden, das hatte Hugo ihm ebenso gewaltsam wie geschickt verbaut. Aber vielleicht bot sich die Möglichkeit . . .
»Was immer du vorhast«, sagte Boso an Hugo gewandt. »Du wirst einen Papst brauchen, der dich unterstützt.«
Hugo lachte.
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