Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Sollte man ihr selbst doch nachsagen, was man wollte, aber dass nun auch ihr Blut von solchen Holzköpfen beleidigt wurde! Unfassbar, wie die Dinge sich in nur einem Jahr gedreht hatten.
»Ich halte das einfach nicht mehr aus«, fand Paulina ihre Sprache wieder. »Dieses Kastell, dass wir hier nicht herauskönnen, die scheelen Blicke der Leute, die Schlachten . . . Und was morgen wird, ist auch nicht klar. Wie konntet Ihr diese Unsicherheit nur Euer ganzes Leben lang aushalten, Großmutter? Und die Gefangenschaft in diesem . . . diesem grauenhaften Mausoleum?«
Paulina zählte dreiundzwanzig Jahre, ein Alter, in dem Marocia nicht nur die Aufregungen des Lebens im Lateran hinter sich gelassen, sondern bereits ihre ersten spannenden Erfahrungen als Herzogin in Spoleto gesammelt hatte. Ihre Enkelin dagegen war in wohl behüteter Sicherheit aufgewachsen und konnte daher mit den Aufregungen des Lebens nichts anfangen. Marocia hätte nicht mit ihr tauschen wollen. Alles in allem hatte sie das ständige Auf und Ab der letzten sieben Jahrzehnte zwar nicht immer genossen, aber gebraucht. Es war ein erfülltes Leben, das sich nun dem Ende zuneigte.
Sie seufzte. »Ich habe mich stets beschäftigt«, antwortete sie auf Paulinas Frage.
»Womit?«
»Mit meiner Lieblingsbeschäftigung.« Dann zwinkerte sie mit den Augen. »Nun ja, mit meiner zweitliebsten.«
»Und die wäre?«
»Politik«, rief Marocia mit einer Selbstverständlichkeit, als habe man sie nach der Anzahl ihrer Finger befragt.
»Hier? Im Kerker?«, fragte Paulina.
»Gerade hier. Die Zeit meiner Gefangenschaft war nicht weniger ereignisreich als alles davor und danach.«
Paulina und Cecile sahen sie fragend an, und Marocia wusste, dass sie nun um eine Erklärung nicht mehr herumkäme. Sie setzte sich aufrecht hin, forderte Cecile auf, sich an ihre andere Seite zu setzen, und atmete ein weiteres Mal tief den Wohlgeruch der Myrrhe ein.
32
Anno Domini 931
Wenn Hugo sie peinigen wollte, war das Kastell
Sanctus Angelus
, die Engelsburg, tatsächlich das ideale Gefängnis, dachte Marocia, als sie von der runden Gartenplattform über ihre Stadt blickte. Hier, ihre Heimat vor Augen und doch unerreichbar, würde sie leiden.
Von der Engelsburg aus vermochte sie die Via Triumphalis zu sehen, auf der früher die römischen Kaiser in Rom eingezogen waren und auf der zweifellos auch Hugo bald zu seiner Kaiserkrönung ziehen würde. Auch der Campus Vaticanus mit der Petersbasilika lag in Sichtweite, und wenn der Wind aus westlicher Richtung wehte, würde sie sogar die tausendstimmige Krönungsmesse hören können.
Verrotte, hatte Hugo ihr nachgerufen, und auch dafür eignete sich die Engelsburg besser als jedes andere Gemäuer der Ewigen Stadt, denn sie war ursprünglich als Mausoleum gebaut und nur deshalb umbenannt worden, weil einst ein Papst die Vision von einem Engel über diesem Totentempel hatte. Der römische Kaiser Hadrian hatte vor fast exakt achthundert Jahren mit dem Bau seines monumentalen Grabmals begonnen. Die Urnen von ihm, seiner Frau und einigen seiner Nachfolger standen noch heute in der Grabkammer, und auch wenn spätere Kaiser das Mausoleum eher als Verteidigungsanlage nutzten, hatte die Engelsburg noch viel von ihrer ursprünglichen Bestimmung bewahrt.
Außer während einer Stunde am Mittag, in der Marocia ein Spaziergang erlaubt war, blieb sie auf einen komfortabel mit Teppichen und reich verzierten Möbeln eingerichteten Saal der Engelsburg beschränkt, in dem sie schlief, aß und las. Anderes blieb ihr kaum zu tun, denn Hugo hatte ihr weder Papier zum Schreiben bewilligt noch irgendeine Form von Gesellschaft. Die Wächter stammten aus Burgund und sprachen – mit Ausnahme des Hauptmanns – kein Lateinisch oder Langobardisch. Einzig ihre Zofe war Italienerin, ein junges Ding aus dem Volk von kaum sechzehn Jahren, aber auch sie durfte Marocia nur je eine halbe Stunde am Morgen und am Abend beim Umkleiden helfen, wobei ihr jede private Unterhaltung verboten war.
Nach einigen Wochen ertrug Marocia die Ungewissheit über das Schicksal ihrer Kinder nicht länger, und nach einer weiteren sorgenvollen Nacht, in der sie sich hin und her gewälzt hatte, sprach sie die Dienerin während der morgendlichen Garderobe darauf an.
»Bitte, Durchlaucht, ich darf mit Euch nicht darüber sprechen«, flüsterte die junge Frau. »Der Hauptmann würde mich für immer in ein finsteres Loch sperren, wenn er dahinter käme.«
»Ja, glaubst du denn, mein Kind, ich
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