Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
»Denkst du über eine geistliche Karriere nach, Boso? Vergiss es, ich brauche dich an anderer Stelle.«
»Wo?«
»Ich habe dir vor einigen Jahren gesagt, dass ich dir ein italienisches Land geben würde. Es ist soweit.«
»Die Lombardei oder Friaul?«
»Weder noch.«
»Aber die anderen regierst du doch nicht als Landesherr.«
»An diesem Punkt kommst du ins Spiel.«
Boso stand auf, ging die Stufen wieder hinunter und warf noch einmal einen langen Blick auf den Thron. »Schade«, seufzte er. »Ich würde als Pontifex wirklich alles tun, was du verlangst.«
»Wenn nicht, hätte ich dich umgebracht«, erwiderte Hugo lächelnd, legte erneut seinen Arm um Bosos Schultern und schlenderte mit ihm aus dem Thronsaal. »Doch das Papstamt habe ich bereits jemandem zugedacht, der nun wirklich überhaupt nicht damit rechnet.«
Marocia gebar an einem nebelverhangenen Dezembermorgen ihr fünftes Kind. Sie gab dem munteren Knaben den Namen Crescentius, nach dem antiken Geschlecht der Crescentier, aus dem ihre väterlichen Vorfahren stammten. Im Wochenbett befiel sie stärker denn je die Sorge um ihre anderen Kinder.
Wenige Wochen nach ihrem ersten Versuch bediente sie sich daher einer anderen Strategie, um der jungen Dienerin Informationen zu entlocken.
Hugo hatte ihr zwar jeden Schmuck abnehmen lassen, um Bestechungen unmöglich zu machen, aber die Soldaten hatten nur an die Ringe, Ketten, Armreife und Kameen gedacht, nicht an ihre Haarnadeln. Sie selbst erinnerte sich erst jetzt daran, dass in deren oberen Enden winzige Smaragde eingefasst waren. Das Beste daran war, dass Hugo sie ihr einst geschenkt hatte. Jetzt würde Marocia sie gegen ihn einsetzen, und schon dieser kleine Erfolg bereitete ihr eine diebische Freude.
Wie durch Zufall ließ sie eine der Haarnadeln bei der abendlichen Toilette fallen, und als die Zofe sie aufhob und auf den Ankleidetisch legen wollte, schloss Marocia ihre Hand um die der Dienerin und sah ihr lange in die Augen.
Die Verlockung, wusste Marocia, war für die arme Zofe geradezu teuflisch. Der Stein, so unscheinbar klein er auch war, war mehr wert als ihr Salär von fünf Jahren Arbeit. Die Zofe warf einen raschen Blick zur Tür, die während des Umkleidens immer einen Spalt aufbleiben musste, doch niemand war zu sehen. Dann blies sie alle Kerzen bis auf eine aus, um der Wache, sollte sie doch einen Blick in den Saal werfen, die Sicht zu erschweren.
»Was wollt Ihr wissen?«, fragte sie schließlich.
»Meine Kinder . . . sind sie wohlauf?«
Die Zofe nickte. »Alle vier. Der König behandelt sie bisher gut, glaube ich.«
Marocia meinte ein leichtes Zögern gehört zu haben, eine geheimnisvolle Einschränkung. Irgendetwas stimmte nicht. »Alazais«, begann Marocia im Dunkeln zu stochern. »Was ist mit ihr?«
»Man hat Eure jüngste Tochter ins Kloster von Fontana Liri gebracht.«
Marocia schloss für einen Moment die Augen. Gott sei gedankt für Blanca, dachte sie. Ihre Schwester würde sich gut um die Kleine kümmern. Jetzt erst gestattete sie sich ein erstes Aufatmen. Doch sofort sagte ihr ein Gefühl, dass es verfrüht sei. »Bitte«, bedrängte sie die Zofe. »Alles ist besser als diese Unwissenheit.«
»Auch wenn es Euch nur Kummer bringt?«
»Auch dann.«
»Wenn Ihr meint . . . Der Markgraf von Toskana ist doch ein guter Freund von Euch, nicht wahr? Leider ist es so, dass der König ihn in einen Hinterhalt gelockt und gefangen genommen hat. Man spricht davon, dass der König seinen Bruder aus Niederburgund als neuen Markgrafen der Toskana eingesetzt habe.«
»Aber was ist mit Guido passiert?«
Die Zofe druckste ein wenig, dann sagte sie: »Der Markgraf Guido wurde geblendet, Durchlaucht, und es heißt, König Hugo habe selbst . . .« Sie brach ihren Bericht ab, als sie sah, dass Marocia bleich wurde.
»Guido«, murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu dem Mädchen neben ihr. »Verstümmelt, wie einst Hugos Vater.«
»Da ist noch etwas«, gestand die Zofe. »Stephan VII. ist kurz nach Eurer Inhaftierung gestorben, Durchlaucht. Und der neue Papst . . . Es ist . . .«
Marocia sah von ihrem Stuhl zu der neben ihr stehenden Zofe auf. Nach den schrecklichen Neuigkeiten über Guido war es ihr fast egal, wer nun Papst war. »Desiderius?«, fragte sie müde, doch sie erhielt keine Antwort. Dann begriff sie, erstarrte. Sie blickte in die Augen der Dienerin, in denen sich die Flamme der einsamen Kerze spiegelte. Das konnte nicht, das durfte nicht sein. »Doch nicht etwa . . .
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