Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Wette.«
Sie lachten im Chor. Vorbei war die Befangenheit ihrer letzten Begegnung, sie küssten sich kräftig auf beide Wangen und lösten damit bei Alazais und Landos Sohn Priscian ein überraschtes Schmunzeln aus.
»Kaum zu glauben, dass der Herbst bald einzieht«, sagte Alazais. »Wenn man die beiden sieht, meint man den Frühling zu riechen.«
Priscian, der das gute Aussehen seines Vaters geerbt hatte, strahlte Alazais aus schwarzen Augen an. »Was die können, können wir doch auch, oder?«
Alazais neigte den Kopf ein wenig zur Seite und hielt Priscian ihre Hand auffordernd hin. »Ich wollte schon immer einmal die berühmten capuanischen Gärten sehen.«
Lando suchte für seinen ersten Ausritt mit Marocia eine weite, sonnenüberflutete Landschaft aus. Von den Hügeln bot sich ein atemberaubender Blick auf endlose Wiesen, die im Licht des Nachmittags glühten. Kaum ein Vogel bevölkerte den Himmel, kaum ein Bauer arbeitete auf den Äckern. Schwer drückte die Luft herab, schwieg und stand still, und so erfrischten die beiden Reiter sich beim wilden Galopp. Erst, als die Pferde erschöpft waren, machten sie am Rande eines Bachlaufs Halt und schöpften Wasser mit der hohlen Hand.
»Ach, das war gut«, sagte Lando und ließ offen, ob er den Ritt oder das kühle Nass meinte. Er streckte sich. »Was ist, ruhen wir uns aus?«
Marocia blickte auf ein halb abgeerntetes Kornfeld jenseits des Baches, das goldgelb in der Sonne leuchtete. In seiner Mitte stand eine mächtige Kastanie, die wohltuenden Schatten versprach. »Dorthin«, bestimmte Marocia, und so banden sie die Pferde an und stapften über die quer liegenden Halme. Sie lehnten sich nebeneinander an den Baumstamm und atmeten die würzige, nach Stroh und warmem Holz duftende Luft ein.
»Marocia, du sagst gar nichts dazu, dass ich dir so viele Grillen hierher bestellt habe, die unermüdlich zirpen. Du musst dieses Geräusch doch vermisst haben, all die Jahre.«
Sie lächelte ihn an und seufzte. »Deine Stimme ist mir momentan lieber.«
»Was denn, so schlimm?« Er bettete ihren Kopf in seine Arme. »Sag schon. Was ist los?«
Sie suchte nach Worten, die ausdrücken konnten, was ihr auf der Seele brannte. »Warum«, fragte sie nach langem Schweigen, »wird alles, was ich tue, falsch gedeutet? Ich meine, ich stifte erwünschte Ehen, bringe heiß ersehnten Frieden, verleihe Rom neue Geltung, schenke Ämter und Würden, bin eine treue Gemahlin gewesen . . .«
»Na, na«, unterbrach Lando.
»Also schön, nicht immer. Hugo zumindest war ich treu. Aber als sei ich mit einem Fluch belegt, wird mir jede meiner Taten mit Gewalt oder bösen Worten vergolten.«
»Ich verstehe«, sagte Lando und kraulte sich schelmisch den kurzen Bart. »Das hört sich nach einem sehr ernsten Problem an, meine Katze. Ob es sich um den gleichen Fluch handelt, der einst die unglückliche Kassandra von Troja getroffen hat?«
Marocia schlug mit der flachen Hand sacht gegen seine Brust, die nur unter einem leichten Hemd verborgen war. »Bitte, Lando, keine Scherze mehr. Ich bin an einem Punkt, wo ich nicht mehr weiß, ob die Liebe zu meinen Kindern oder die Neigung für wagemutige Spiele mein Handeln bestimmen. Alles geht drunter und drüber, in meinem Kopf und überhaupt.« Sie machte eine Pause, in der sie die Faust vor ihrem Mund ballte und sichtlich mit den Tränen kämpfte. »Ich war mir immer so sicher, dass das, was ich tue, gut und richtig ist, für mich und für andere. Doch mit einem Mal – ich weiß es nicht mehr. Zum ersten Mal in meinem Leben stelle ich alles in Frage, die Vergangenheit, die Zukunft. Es ist, als habe mir jemand mein Lebenskonzept gestohlen, und nun irre ich umher und suche es.«
Lando ließ seine vergnügte Ironie von einem Augenblick zum nächsten zugunsten einer klugen Besonnenheit fallen. Er hatte Marocia im Laufe ihres fünfzigjährigen Lebens zwar nur für wenige Momente erlebt, und doch glaubte er sie zu kennen, als hätte er jeden Tag mit ihr geteilt. Wenn sie so redete wie jetzt, dann litt sie.
»Nun gut«, sagte er. »Ich prüfe dich.«
Sie nahm ihren Kopf hoch und sah Lando an. »Wie denn das?«
»Schließe die Augen«, befahl er. »Gut, jetzt entspanne dich. Und nun überlege Folgendes: Wenn du dir vom Allmächtigen etwas wünschen dürftest, was wäre es?«
Sie zögerte einen Moment, dann öffnete sie die Augen.
»Siehst du«, rief Lando und hielt ihr wie ein altkluger Lehrer den Zeigefinger vor die Nase. »Das Erste, was dir durch den
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