Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
keinen Sinn«, gab Lando eines Nachts zu bedenken, als beide gemeinsam im Bett lagen.
Marocia stützte ihr Kinn in die Hand. »Gehst du zu ihm, oder soll ich?«
»Wenn ich reise, erregt es mehr Aufmerksamkeit. Außerdem verhandelst du besser als ich.«
»Ja. Andererseits bin ich eine Frau.«
»Seit wann stört dich das?«
»Wenn ihr Männer Pläne schmiedet, geltet ihr als klug und geschickt, von Frauen behauptet man im gleichen Fall, sie seien intrigant.«
Sie sahen sich über die weiche Wolldecke hinweg an. »Du reist«, sagte Lando, und gleichzeitig sagte sie: »Ich reise.«
Beide prusteten vor Lachen und wälzten sich im Bett.
Ihr Weg führte Marocia durch scheinbar endlose dunkle Eichen- und Buchenwälder, über mächtige und tiefe Ströme und nebelverhangene Hügelketten. Diese geheimnisvollen Landschaften, die alle etwas verbargen, waren die Wurzel für zahllose Mythen, wimmelnd von Geistern, Ungeheuern und Helden. Das Christentum jedoch hatte dieses Land der fünf Völker aus seiner eigenen Welt in die der übrigen Menschheit geholt, und darin schien es sich – entgegen aller Vorurteile – prächtig zurechtzufinden.
Beeinflusst von jahrzehntelanger byzantinischer Propaganda neigte man in Rom wie in fast ganz Italien zu der Ansicht, die Schwaben, Franken, Baiern, Sachsen und Lothringer seien kulturlose Halbbarbaren, woran auch das glanzvolle Intermezzo Karls des Großen wenig geändert habe. »Sie schlafen erst seit zweihundert Jahren in richtigen Betten, und bis heute trinken sie keinen Wein«, fiel den meisten Römern als Erstes ein, wenn sie an Germanien dachten. Dass einige Gebiete dieses ominösen Landes erst vor einhundert Jahren christlich missioniert worden waren, galt in der Wiege des Glaubens als unfassbar, ja skandalös. Wenn man also jemanden beleidigen wollte, nannte man ihn einen Deutschen.
Marocia hatte als Kind das Glück gehabt, in Pater Bernard einen gebildeten Geistlichen mit ausgewogener Meinung zum Lehrer bekommen zu haben, der sie immer angehalten hatte, die Entwicklung der Deutschen zu verfolgen. Später hatte sie in Damiane eine Freundin gefunden, die ihr viel über das germanische Land und seine Sitten erzählen konnte, und schließlich verstand sie genug von Musik und Architektur, um zu wissen, dass die Kompositionen im schwäbischen Kloster St. Gallen und der Bau eines doppelchorigen Doms zu Fulda wegweisende Einflüsse auf den gesamten nördlichen Mittelmeerraum haben würden.
Auf ihrem Weg entlang des Rheins begegnete Marocia Kirchen, die in den Himmel wuchsen, Pfalzen, so wehrhaft wie die Mauern von Jericho, und Klöstern, deren Buchmalereien den byzantinischen in nichts nachstanden, im Gegenteil, sie an Finesse und Originalität noch übertrafen. Allenthalben traf sie auf neue, ungewöhnliche Formen, wie etwa im Nonnenkloster Gandersheim, dessen Äbtissinnen einen derart geachteten Status besaßen, dass sie von Herzögen und Monarchen in vielen politischen Fragen konsultiert wurden. Dazu die vielen Neugründungen von Städten – Goslar, Quedlinburg, Werla und Meissen –, überall aufstrebendes Handelstum, überall Aufbruch. Doch die Krone dieses Erwachens eines Volkes, gleichsam dessen Symbol, lernte sie erst am Ende ihrer Reise kennen. Im Gegensatz zu Italien, wo die Zentren der Macht unverrückbar und wie in Erz gegossen in Rom und Pavia lagen, war das Zentrum deutscher Macht seit Otto I. immer dort, wo er sich gerade befand. Und meist befand er sich in Magdeburg.
Diese junge Stadt im deutschen Herzogtum Sachsen galt als das Tor in den Osten Europas. Hier kreuzten sich zwei wichtige Fernhandelsstraßen, und die vorbeifließende Elbe, mit ihren Verbindungen in die Nordsee und bis weit nach Böhmen hinein, lockte zusätzlich Kaufleute an. König Otto I. hatte, gleich nach dem Tod seines Vaters Heinrich und seiner Krönung im Jahre 936, der Stadt einen besonderen Status eingeräumt. Allenthalben wurde mit immensem Aufwand gebaut und erweitert; erst jüngst waren die von Otto in Auftrag gegebene Erweiterung der imposanten Burgpfalz und das Familienkloster beendet worden. Wenn es für Marocia noch irgendeines Beweises bedurft hätte, wie viel Potenzial Ottos Reich besaß– hier war er endgültig erbracht.
Der König blickte scheinbar endlos zum Fenster hinaus, wo der Regen unaufhörlich auf das Pflaster des Burghofes prasselte. Der Zeigefinger trommelte auf seiner von dichtem Bart umschlossenen Lippe einen immer wiederkehrenden Rhythmus. Otto wirkte trotz seiner
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