Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
sich jedes auf seine Weise von ihr abwandten, oder lag es nicht doch an ihr selbst? Den Kopf voll von Fragen und Selbstvorwürfen sah sie dem Schiff nach, bis es am Horizont verschwand.
Von einem Fenster der Festung hoch über Bari hatten auch Blanca und der kleine Crescentius das Auslaufen des majestätischen Schiffes verfolgt.
»Tante, können wir jetzt endlich den Dienern zum Essen läuten?«
Blanca streichelte dem Achtjährigen über die strohblonden Haare und lächelte, doch sie empfing wie so oft keine gleichartige Geste. In seiner oft verbissenen Art ähnelte Crescentius seinen älteren Brüdern Clemens und Alberic, aber er zeigte sie nicht so deutlich, sondern verbarg sie hinter Spott und Sticheleien. Wenn er dann doch einmal lachte, platzte es wie aus einem übervollen Schlauch aus ihm heraus und ergoss sich über die Opfer seiner Streiche. Blanca, die sich seit Marocias Gefangenschaft des Kleinen und seiner Schwester Alazais angenommen hatte, gestand sich ein, ihn nicht besonders zu mögen.
»Deine Mutter wird gewiss bald kommen. Also geh und suche Alazais, danach könnt ihr tafeln. Wir kommen später nach.«
Crescentius grinste in sich hinein, so als habe er gerade den Freibrief zu einem halben Dutzend Schurkenstücke bekommen, und stürmte aus dem Raum. Auf halbem Wege rief Blanca ihn noch einmal zurück.
»Aber vergesst euer Tischgebet nicht«, mahnte sie und erntete ein unverständliches Brummeln des Jungen.
Sie blieb allein in dem Gemach zurück, dessen Ausstattung eine Ahnung von byzantinischer Prachtentfaltung gab. Marmorgeflieste Böden und Wände verschafften ihm im tatsächlichen wie übertragenen Sinn Kühle, während die reichen Ornamente der gold- und bronzebelegten Decke wie ein Feuersturm loderten. Auch als ihre Schwester müde und betroffen hereinkam, blieb Blanca auf dem Sims sitzen und blickte hinaus auf die azurne See.
»Es war nicht der Abschied, wie du ihn dir vorgestellt hast, nehme ich an.«
Marocia setzte sich zu ihr. »Nein«, sagte sie erschöpft, legte den Kopf in den Nacken und ließ sich von einer frischen Meeresbrise berieseln. »Manchmal«, sagte sie nach langem Schweigen, »habe ich das Gefühl, dass ich für jeden Schritt, den ich vorwärts gehe, zwei Tritte ins Gesicht bekomme.«
»Vielleicht gehst du ja gar nicht vorwärts, sondern glaubst es nur«, wandte Blanca sacht ein und empfing einen fragenden Blick ihrer Schwester. Erneut schwiegen die beiden eine Weile, dann sagte Blanca: »Du hast noch Alazais. Ihr sonniges Gemüt wird es dir leicht machen, dich mit ihr zu verstehen. Aber Crescentius braucht jetzt viel Führung und Verständnis. Er braucht deine ganze Liebe und Kraft.«
Marocia wich ihrem Blick in die Seeluft aus. »Auch wenn du jetzt das Schlimmste von mir denkst, Blanca: Für Crescentius ist es besser, wenn er weiter bei dir bleibt.«
»Er ist dein Sohn«, mahnte Blanca. »Du kannst dir keine Väter backen, Marocia. Du musst endlich darüber hinwegkommen, was Hugo dir und Alberic . . .«
»Ich will nicht weiter darüber sprechen«, sagte Marocia, rieb sich die Stirn und ging hinaus.
Während Blanca mit Crescentius nach Rom zurückkehrte, schlugen Marocia und Alazais eine andere Richtung ein. »Wohin reisen wir?«, fragte ihre Tochter neugierig.
»Weißt du, in Rom wartet nichts und niemand auf mich«, antwortete sie. »Aber es gibt für mich eine Menge nachzuholen und nur einen Ort, wo das geht.«
Sie hatte all die Jahre im Kastell an diesen Ort gedacht, jeden Abend vor dem Einschlafen und als Erstes beim Aufwachen, und wäre sie nicht schon einmal dort gewesen, würde er ihr unwirklich vorgekommen sein, wie ein Sagenland, das nur von Dichtern besungen und in alten Büchern beschrieben wurde. Noch jetzt, so viele Jahre später, spürte sie die Wärme, die von ihm ausging, und die Glut, die er in ihr entfachte. So sehr wie nie zuvor brauchte sie einen Boden, auf dem sie stehen konnte. Sie brauchte Liebe und Zärtlichkeit oder wenigstens die greifbare Erinnerung daran. Der Ort hieß Capua. Und der Boden hieß Lando.
»Meine Katze«, begrüßte Lando die Frau, die er vor fast zehn Jahren zum letzten Mal gesehen hatte. Ein stilles Lächeln zog über seine Lippen. »Wie sehr hat die Zeit uns einander ähnlich gemacht. Meine Haare werden grau, deine Haare werden grau, und wir bräuchten einen ganzen Tag, um unsere Falten gegenseitig zu zählen.«
»Nur unsere Augen«, erwiderte sie froh, »die glühen noch immer.«
»Bis zum Schluss und um die
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