Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste

Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste

Titel: Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
verabschiedeten sie sich. Otto sah zu, wie die greise Senatrix sein Zelt verließ. Seit seinem ersten Zusammentreffen mit ihr in Magdeburg waren fast zwanzig Jahre vergangen, und in all dieser Zeit hatte er ihr niemals auch nur einen einzigen Moment lang misstraut. Wem sie ihr Wort gegeben hatte, konnte sich darauf verlassen, und das war weit mehr, als man in Zeiten wie diesen erhoffen durfte. Liudprand konnte über sie denken, was er wollte – er, Otto, würde sie vermissen.

    Am 2. Februar des Jahres 962 empfing Otto ein hundertstimmiger Chor mit einem gewaltigen Kyrie an der Pforte der Petersbasilika. Der versammelte Adel und die Ritterschaft verneigten sich. In sein purpurnes Prunkgewand gehüllt schritt der Monarch langsam zum Altar, wo Octavian aufgeregt auf ihn wartete. Zum ersten Mal blickte er Otto in die Augen – und bekam sofort weiche Knie. Nur mühsam vollzog er die liturgischen Handlungen, doch jeder sah ihm das nach: Noch kein Papst vor ihm hatte je einen
imperator sanctum romanorum
krönen müssen, somit war alles neu. Kurz bevor Octavian die goldene und mit prunkvollen Edelsteinen besetzte Reichskrone dem ersten abendländischen Kaiser auf das Haupt setzte, verstummte der Chor. Der geheiligte Augenblick sollte ein Akt der feierlichen Stille sein, Gott, Papst und Kaiser durch die Krone vereint.
    Im Anschluss an die Zeremonie folgte die Ansprache des neuen Kaisers, in der er die ausgehandelten Privilegien des Patrimoniums verkündete, und er schloss mit den Worten: »Schreibt es auf, und tragt es in alle Welt. Heute ist der erste Tag einer großen Epoche, und diese Stadt, durch Gottes Wille heilig und ewig, soll dessen Wiege und Zentrum sein.«

    »Gewonnen, gewonnen!«, rief Octavian immer wieder, während er sein Pferd aus dem vollen Galopp zum Stehen brachte. Hinter ihm stieg der Staub der sommerlichen Campagna wirbelnd auf, um sich anschließend nur langsam wieder zu verziehen. Es dauerte noch einige Momente, bis auch Ganymed auf seinem Schimmel inmitten der gelblichen Sandschleier auftauchte. »Gewonnen!«, rief Octavian noch einmal.
    »Kein Wunder«, gab Ganymed hustend zurück. »Du reitest schon, seit du ein Kind bist. Wir dagegen waren immer zu arm, um uns ein Pferd leisten zu können.«
    Octavian taten solche Vergleiche weh, und er hatte daher lange Zeit Themen vermieden, in denen der gewaltige soziale Unterschied zwischen einem Kind des Armenviertels und dem eines Herrscherhauses eine Rolle spielte. Doch da war nicht viel Gesprächsstoff übrig geblieben. Die Kontraste in Erziehung, Bildung und Geld warfen immerzu Schatten auf die Beziehung der beiden Gefährten, beim Essen, bei Unterhaltungen, ja sogar beim Feiern. Mittlerweile jedoch sah Octavian es als einen Vorteil an, wenn er Ganymed etwas beibringen oder wenn er ihn beschenken konnte; auf diese Weise bekam er das Gefühl, wertvoll für diesen schönen Jungen zu sein, den er so sehr liebte. Umgekehrt war er sich da manchmal nämlich nicht sicher.
    »Dann gebe ich dir eine andere Gelegenheit, deine Schnelligkeit zu beweisen«, rief Octavian fröhlich. »Komm, fang mich, wenn du kannst.«
    Ganymed schwang sich von seinem Pferd, und eine Weile lieferten sich die beiden jungen Männer Verfolgungsjagden durch das hohe Gras. Sie lachten frei wie Kinder. Endlich lehnten sie sich erhitzt und erschöpft in den Schatten einer Mauer. Ganymed holte einen Balg hervor und goss von dem Wasser über Haare und Gesicht, so dass es ihm den ganzen Oberkörper hinunterlief. Eine Weile sah Octavian dem schönen Jungen bewundernd zu, dann tanzte sein Blick über die wenigen Wolken, die wie eine zerstreute Schafherde am Himmel wanderten. Als eine kühlende Brise sein Gesicht streichelte, schloss er die Augen. Er lächelte, und als er die Augen wieder öffnete, stellte er fest, dass dies alles kein Traum war. Die Ruhe, das sich wiegende Gras, die rauschenden Pappeln der Campagna, ja selbst die Schwere der Luft schienen ihm das zu sein, was er immer schon gewollt hatte. Und natürlich Ganymed, ohne den das alles nichts wert gewesen wäre.
    »Weißt du, wo wir hier sind?«, fragte Octavian, begierig, Ganymed davon zu erzählen. »Was du hier siehst, sind die Ruinen der Villa des Horaz. Er war ein altrömischer Dichter. Wunderbare Sachen hat er geschrieben.« Octavian schloss erneut die Augen und sog die frische, nach Gräsern und wilden Blumen duftende Luft ein. Dann zitierte er:

Nicht immer gleich blüht der Blumen Pracht im Frühling,
    nicht leuchtet der

Weitere Kostenlose Bücher