Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
geschlagen gab, und da Octavian nach wie vor Ganymed als Gefährten hatte und sich ihn auch nicht von ihr ausreden ließ, musste sie stets mit allem rechnen. »Verhafte Crescentius«, riet Lando ihr fast wöchentlich, aber sie erwiderte daraufhin nie etwas und unternahm auch nichts in dieser Richtung.
Vor dem majestätischen Zelt des Monarchen blieb sie stehen, wartete auf ihre Anmeldung und sah sich in dem weitläufigen, nebelverhangenen Feldlager am Fuße des Mons Marius nordwestlich von Rom um. Wie aufgeräumt hier trotz des schlechten Wetters alles war, wie exakt gegliedert die Zelte standen, wie sauber die Hemden der Soldaten und wie geputzt die Wappenschilde waren. Einfache Waffenträger schlenderten gelangweilt von einem Zelt zum anderen, andere murrten, dass sie nun schon zum dritten Male ihre Lanzen blank reiben mussten, und die beiden Wachen vor Ottos Zelt gaben sich gegenseitig Ratschläge, wo die liederlichsten Schenken Roms zu finden waren. Nur für zwei Menschen hier und überall brach morgen ein bedeutender, ja epochaler Tag an: für Marocia selbst und für Otto. Doch die Kraft dieser beiden Träumer war stärker gewesen als die Gleichgültigkeit von Millionen und der Widerstand der Vorgestrigen. Etwas Neues brach an, ebenso Wagnis wie Chance, und Otto war angehalten, es nun allein in die Zukunft zu führen.
Marocia war auf ihrem Lebenshöhepunkt angelangt, hatte politisch erreicht, was für sie zu erreichen war. Sie fühlte sich kein bisschen müde, aber das, was ihrem Leben noch fehlte, würde sie nicht als Senatrix oder in einer anderen gehobenen Position hinzufügen können. Sie dachte an die Kinder, an Enkel und Enkelinnen, die sie noch nie gesehen hatte, an Reisen gemeinsam mit Lando, nach Mainz, Reims, Aquileia. Vielleicht sogar zu Eudoxia nach Byzanz, je nachdem, wie das Oströmische Imperium auf Ottos Kaiserkrönung reagieren würde. Heute also würde sie das Letzte, was es für sie in der Politik noch zu tun gab, erledigen, heute würde sie für Roms künftige Stellung das Bestmögliche verhandeln.
Der deutsch-italienische König empfing Marocia in erstaunlich privatem Rahmen, was eine hohe Auszeichnung bedeutete. Endlich lernte sie seine Frau Adelheid kennen, doch sie wurde von ihr auffallend kühl begrüßt, ebenso von Ottos Berater Liudprand, dem Bischof von Cremona. Einzig der König selbst sowie sein Schwertträger, der junge Graf Arnsfried, brachten der römischen Verhandlungsführerin Freundlichkeit entgegen.
Marocia übergab Otto eine Schriftrolle, in der die Wünsche Roms – sie vermied das unschöne Wort Bedingungen – aufgelistet waren: der Status Roms als Hauptstadt des Imperiums, weiterhin eine Sicherheitsgarantie, die einerseits besagte, dass der König und Kaiser jede direkte Regierungshandlung Rom und das Patrimonium betreffend unterließ, andererseits aber dem Papst bei innerstädtischen Konflikten Beistand leisten musste, ferner die Wiederherstellung der ursprünglichen Grenzen des Patrimoniums von vor 894, als Ageltrudis sich der Hälfte des Kirchenstaates bemächtigt hatte. Im Gegenzug, sozusagen als Krönungsgeschenk, würde Ottos Lieblingsstadt Magdeburg den Rang eines Erzbistums erhalten.
Liudprand verrenkte sich beim Blick über die königliche Schulter fast seinen Schildkrötenhals, nur um einige Punkte lesen zu können, aber seine Augen bewältigten die Entfernung einfach nicht mehr. Mit zusammengepressten Lippen musste er also wie die anderen abwarten, bis der König das Schreiben wieder zusammenrollte.
»Die Wünsche sind annehmbar«, sagte er und legte die Schriftrolle neben sich ab. Liudprand platzte vor Neugier, und es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte danach gegriffen. Aber das wäre selbstverständlich ein unmögliches Benehmen gewesen, selbst für den engsten und vertrautesten Berater. »Aber ich vermisse die zweite Wunschliste.«
»Die zweite, Euer Gnaden?«
»Dieses Spielchen dürfte Euch wie mir geläufig sein. Sagt schon: Was erbittet Ihr für Euch selbst und Eure Familie?«
»Oh, gar nichts, Euer Gnaden.«
»Das wäre ja auch noch schöner«, keifte Liudprand, und Adelheid nickte dazu.
Otto blickte gelassen über die Schulter. Er sah in diesem Moment aus wie ein Tierbändiger, der genau wusste, wie mit jedem Einzelnen umzugehen sei. Er wirkte ebenso abgezehrt wie der magere Adler auf dem Wappen, vor dem er saß, doch Marocia fand, er war durch und durch ein kräftiger Monarch, würdig des imposanten Titels, der auf ihn wartete.
»In
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