Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
war ihm klar: Crescentius hatte ihm mit seinen Ratschlägen bisher keinen Gefallen getan, weil er entweder unfähig oder böswillig war. Octavian hatte sich seit der Capua-Krise für die zweite Variante entschieden. »Er ist ein Teufel«, sagte er. »Falsch und rücksichtslos. Ganz der Vater.«
»O ja«, bestätigte Ganymed voller Überzeugung. »Er ist ein Teufel. Aber manchmal muss man eben auch mit dem Teufel Geschäfte machen.«
»Sogar Päpste?«
Ganymed nickte. »Die vor allem.«
Octavian blickte Ganymed lange in die Augen, und er sah darin die vielen schönen Jahre mit ihm, in denen sie sich gegenseitig Mut zugesprochen, geholfen und sich gefreut hatten. Wie oft waren sie ausgeritten, wie häufig hatten sie sich Blicke wie diesen geschenkt, wie viele Male waren sie nebeneinander eingeschlafen! Für kein Amt, keinen Titel und keine Kostbarkeiten hätte Octavian diese Jahre missen wollen. Ganymed war für ihn zum Sinn des Lebens geworden.
»Du liebst mich doch?«, fragte er seinen Gefährten, und es klang ebenso Hoffnung wie Vorsicht in seiner Stimme mit.
Ganymed nickte ihm zu. »Ich würde dir nie schaden wollen. Ich meine es ehrlich, wenn ich dir rate, dass du dich besser an Crescentius wenden solltest als an deine Großmutter. Das könnte dein Leben retten – unser Leben.«
Noch einmal betrachtete Octavian seinen Geliebten tief und versunken. Dann seufzte er und ließ sich zurück ins Gras fallen. Wieder kam ihm Horaz in den Sinn.
Ob du reich geboren oder arm,
Es ist stets gleich:
Bist Opfer des Orkus ohne Vergebung.
Wir alle werden dorthin gezwungen.
Auf uns alle wartet die Urne,
ob später, ob früher tritt der Fährmann heran und weist uns ein,
ein in den Nachen zum Exil.
Für alle Zeit.
Obwohl ihm Crescentius und seine Ränkespiele zuwider waren, ließ Octavian sich von seinem Onkel überzeugen, mit dem friaulischen Herzog Berengar von Ivrea in Kontakt zu treten. Berengar hatte sein Vorhaben, König von Italien zu werden, noch immer nicht aufgegeben und stand als Bundesgefährte gegen Otto sofort zur Verfügung. Auch die Boten, die von Rom nach Byzanz geschickt wurden, um die Unterstützung des Oströmischen Imperiums zu gewinnen, wurden freundlich aufgenommen. Gemeinsam wollten die Partner einen Plan entwickeln, die Deutschen mit einem gewaltigen Schlag aus Italien zu fegen, wobei man auch um die Sarazenen und die Ungarn als Alliierte warb.
Doch der Plan geriet ins Riesenhafte, wurde immer komplizierter und verzweigte sich in so viele Richtungen, dass er kaum geheim bleiben konnte. Noch während die Verhandlungen zwischen den ungleichen Partnern im Gange waren, fing Ottos Geheimdienst einen der vielen Boten ab, und aus dem Brief, der bei ihm gefunden wurde, ging hervor, dass der Papst gegen den Kaiser konspirierte.
»Verrat«, kommentierte Liudprand den Bericht. »Und sie steckt dahinter. Ich habe stets vor ihr gewarnt, Majestät.« Doch Otto, der sich zu dieser Zeit im Deutschen Reich befand, reagierte überlegt. Er sandte seine Informationen an Marocia weiter, und gleichzeitig schickte er Octavian einen Brief, in dem er ihn aufforderte, sich zu rechtfertigen.
»Wir müssen aufgeben«, folgerte Octavian nach der Lektüre des kaiserlichen Briefes.
»Otto hat noch nicht einmal die Hälfte des Planes begriffen«, wandte Crescentius heftig ein. »Wenn du jetzt aufgibst, bist du so gut wie tot.«
»Ich werde zurücktreten, dann lässt er mich in Ruhe.«
»Päpste treten nicht zurück«, fauchte Crescentius. »Und selbst wenn: Sie werden trotzdem als Gefahr empfunden und beseitigt.«
»Großmutter wird mich beschützen. Sie verzeiht mir gewiss.«
»Hat sie jemals mir vergeben? Nein, du steckst zu tief im Sumpf, mein Lieber.«
Octavian lief unablässig im Kreis um den Stuhl Petri herum. »Was soll ich bloß tun? Hätte ich mich bloß nie auf dich eingelassen. Ich hätte wissen müssen, dass du mir nur wieder Verderben bringen würdest. Du bist doch nichts weiter als ein ewiger Versager.«
Crescentius lief rot an. Mit beiden Händen packte er seinen Neffen an den Ohren und hielt ihn fest. »Sag das nicht noch einmal. Du überlebst es nicht.«
Wenn Crescentius jemals ein wahres Wort gesprochen hatte, dann war es dieses, wusste Octavian nach einem Blick in die wütenden Augen seines Gegenübers.
Marocia stand an einem der Fenster der Engelsburg und blickte auf die sonnenbeschienene Stadt. In der Ferne, irgendwo im Süden, stiegen Rauchsäulen in den Himmel, doch sie kündeten nicht
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