Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste

Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste

Titel: Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:

    »Ich habe nicht vor, mit dir am Altar der Petersbasilika über einen vor zweihundert Jahren beigelegten Grenzkonflikt zu debattieren. Crescentius steckt in Capua fest, und Rom wird von Landos Soldaten belagert. Die Stadt wird über kurz oder lang fallen – wenn die Bewohner nicht vorher mit dir abrechnen.«
    Octavians kurze Entrüstung verrauchte binnen eines Lidschlags. Nun blieb ihm vor Schreck fast die Luft weg. »Das . . . das würden sie nie tun.«
    »So? Dann warte ab, wozu Menschen fähig sind, die Hunger haben. Dem alten König Berengar haben die Veroneser vor fünfunddreißig Jahren deswegen einen Dolch in den Rücken gejagt, und dieser Tyrann war von anderem Format als du.«
    Octavians Hand zitterte dermaßen, dass ihm der Petristab aus den Händen fiel, und so warf Marocia augenblicklich alles Resolute ab und blickte ihn zärtlich an. Mit einer weit ausholenden Geste umarmte sie Octavian und drückte seinen Kopf an ihre Schulter. Sie hatte Mitleid mit Octavian, aber, bei Gott, solche wehrlosen Enkel hatte sie sich nicht gewünscht.
    »Was soll ich jetzt tun?«, jammerte er.
    »Du hast zwei Möglichkeiten«, offenbarte Marocia sachlich. »Entweder, mein geheiligter Enkel, du vertraust auf Gott und betest, dass ein Wunder geschehe. Oder du vertraust auf mich und unterschreibst diesen Brief.«
    Octavian musste nicht lange überlegen. »Was steht in dem Brief?«
    »Du lädst König Otto mitsamt seinem Heer und Gefolge zur Kaiserkrönung nach Rom ein, und im Gegenzug sorgt er dafür, dass die Capuaner verschwinden. Vergiss nicht, dass er als König von Italien auch der Lehnsherr Landos ist und ihm den Rückzug befehlen kann.«
    Octavian nickte zaghaft. Nie, fand Marocia, hatte er kindlicher und unschuldiger ausgesehen – und niemals dümmer. Er gab einem Kirchendiener Anweisung, Tinte und Feder zu bringen, und in der Zeit, die dieser dazu benötigte, hielt Marocia eine Rede an die Edlen.
    »Freunde und Bürger von Rom!«, rief sie. »Der Pontifex wird König Otto zum Kaiser des neuen und heiligen Imperium Romanum krönen. Der alte Glanz und die alte Macht werden wieder in unsere Stadt zurückkehren, die die einzige und wahre Erbin des vor Jahrhunderten untergegangenen Reiches ist. Die Ewige Stadt selbst wird unabhängig bleiben und doch die Krone des Abendlands sein. Und wir alle, die wir hier versammelt sind, werden die vornehmsten und achtbarsten Beschützer des Kaisers und des ganzen Imperiums heißen.«
    Zustimmendes Gemurmel machte sich breit, dann erste Rufe der Begeisterung, und schließlich brach die Festgemeinde in hellen Jubel aus. Selbst Pandulf erkannte, dass er gegen den Widerstand des gesamten Adels und gehobenen Bürgertums nichts weiter würde ausrichten können. Klammheimlich verdrückte er sich aus der Basilika, während der Beifallssturm kein Ende nahm.
    »Ich habe noch keine Ansprache wie diese gehört«, kommentierte Blanca inmitten der Menge mit einer Stimme, aus der Suidger einiges Erstaunen heraushörte. »Sie hat es geschafft, in wenigen Sätzen sowohl an die höchsten Ideale als auch an die niedersten Triebe zu appellieren, an das Herz der Menschen und an deren Wunsch nach hohen und gut bezahlten Ämtern und Titeln, also an die Todsünde der Eitelkeit.«
    Suidger faltete die Hände auf dem Bauch und blickte zu Marocia, die vorne am Altar stand und die Ovationen und Huldigungen der ersten Gratulanten entgegennahm. »Ja, so ist sie«, sagte er. »Eine Menschenfängerin. Ob man sie und ihre Methoden nun schätzt oder verachtet – sie zieht einen fast magisch in ihren Bann.«

    Marocia störte sich nicht an dem knöcheltiefen Schlamm, durch den sie auf dem kurzen Weg von ihrer Kutsche bis zum Zelt König Ottos waten musste. Sie hatte viel zu lange auf diesen Moment gewartet, um solchen Nebensächlichkeiten Beachtung zu schenken, und kein Einziges ihrer fast einundsiebzig Jahre bereitete ihr an einem Tag wie diesem Mühe.
    Seit der Botschaft an Otto war fast ein Jahr vergangen, zehn Monate, die zwar ruhig, aber nicht ohne Anspannung verlaufen waren. Crescentius hatte gleich nach dem Frieden zwischen dem Patrimonium und Capua die eroberten Burgen aufgegeben, im Gegenzug gewährte Lando ihm freien Abzug. Octavian verweigerte jeden weiteren Kontakt zu seinem Onkel. Wie so oft war der Meinungsumschwung des wankelmütigen Papstes also wieder einmal komplett, und Marocia hielt die Fäden erneut fest in der Hand. Aber sie kannte Crescentius zu gut, um anzunehmen, dass er sich bereits

Weitere Kostenlose Bücher