Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
auch entmachtet. Adelheid hatte keinen Zweifel, dass Marocias Worte wahrhaftig waren, dass der Schmerz, von dem sie gesprochen hatte, Teil ihres Wesens und ihrer Erfahrung war und dass sie tatsächlich mitfühlte und verstand, was in ihr, Adelheid, vorging. Marocia hatte vieles offenbart. Aber seltsam, es blieb doch ein Rest von Ahnung, dass diese Frau ein Geheimnis mit sich trug, das Geheimnis, bei allem dennoch eine Maske zu tragen. Ihr Leben war ein Schauspiel, wenn auch eines, in dem sie sich selbst spielte.
Während Adelheid in ihren Kelch stierte, als sei dort alle Wahrheit über Marocia verborgen, grinste sie. Was für ein Leben, was für eine Frau. Nur gut, dass diese Begegnung ihre Letzte war.
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Anfang Januar, Anno Domini 964
Schritt für Schritt, geführt und gestützt von ihren beiden Enkelinnen, stieg Marocia die Stufen hinauf. Paulina und Cecile hatten ihr schon in der Kutsche ein Tuch um die Augen gebunden und unentwegt etwas von einer Überraschung gekichert. Mit solchem Schabernack hielten sie sie bereits seit zehn Tagen bei Laune, verhinderten, dass sie allzu viel über die jüngsten Ereignisse nachdachte. Sie hatte in den letzten Wochen seit Ausbruch des Aufstandes schon zwei vertraute Menschen verloren, zuerst Lando, dann Octavian, von dessen Tod sie allerdings erst nach Niederschlagung der Rebellion erfahren hatte. Und nun, am vorgestrigen Tag, auch noch Blanca. Ihre Halbschwester war dem Fieber und den ständigen Aderlässen erlegen, ohne noch einmal aufgewacht zu sein. Marocia saß immer bei ihr, während ihre Enkelinnen dafür sorgten, dass Truhen gepackt und die liebsten Gegenstände nicht vergessen wurden. Kurz vor Blancas Entschlafen beugte Marocia sich dicht an das Ohr ihrer Schwester und flüsterte: »Ich halte mein Versprechen, Liebste. Weißt du, ich möchte dir nahe sein, und darum gibt es nur diesen einen Weg.«
Bis zum letzten Atemzug hielt sie Blancas Hand, und ihren Tod nahm sie mit einer fast stoischen Gelassenheit auf.
Heute war der letzte Tag, an dem sie sich dem Gebot Adelheids zufolge noch in Rom aufhalten durfte. Sie hatte Paulina und Cecile bisher darüber im Unklaren gelassen, was sie mit ihnen vorhatte, und so tüftelten die beiden jungen Damen seit einer Weile an einer faszinierenden Idee.
»Wir sind da!«, rief Paulina. Sie drehte einen Schlüssel, schob einen Riegel auf und stieß die schwere Pforte auf. Nun lüftete sie Marocias Augenbinde.
»Du liebe Zeit«, stieß Marocia hervor und sah sich staunend um. Boden und Wände waren verstaubt, Türen aus den Angeln gehoben, die Räume kahl und die Fenster zerbrochen, aber sie erkannte die Eingangshalle ihres Elternhauses dennoch sofort. Kein Zweifel: Sie befand sich im Atrium der Villa Sirene.
Paulina und Cecile kicherten sich zu und forderten Marocia zu einem Spaziergang durch das verlassene Haus auf. Doch für Marocia war es mehr, es war ein Streifzug durch die Kindheit. Sie stand dort, wo Pater Bernard ihr zum letzten Mal die Hand gedrückt hatte, wo ihre Mutter ihr vom Handel mit Sergius berichtet hatte, wo sie geschlafen und geträumt hatte, und nach einer Weile der Fassungslosigkeit über diesen überraschenden Besuch in einer fernen Vergangenheit kam Marocia zur Freude ihrer Enkelinnen ins Erzählen. »An dieser Tür habe ich gelauscht, wenn Theodora und Johannes ihre Pläne ausgeheckt haben, und da die beiden sehr rege waren, hatte ich jede Nacht viel zu tun. Und dort hinten tändelten Egidia und der Kutscher immer miteinander. Wie hieß er noch? . . . Regnald. Und dann war da noch . . .«
Länger als eine Stunde streiften sie durch die Räume der Villa. Als sie im
peristyl
angekommen waren, in dem längst das Unkraut wucherte, setzte Marocia sich auf jene Steinbank zwischen zwei Statuen, auf der Sergius sie zum ersten Mal erwartet hatte. Sie atmete tief die kalte, ein wenig nach Gras duftende Luft ein. Fast konnte sie das Gelächter von Leon hören, wenn sie sich Fangspiele geliefert hatten. Das war nun beinahe siebzig Jahre her.
»Jetzt sagt mal, ihr beiden«, unterbrach sie ihren eigenen melancholischen Gedankenflug, »weshalb ihr mich hierher gebracht habt.«
»Freut Ihr Euch nicht, Großmutter?«, fragte Cecile.
»Aber natürlich freue ich mich. Ich war seit meinem Auszug in den Lateran nicht mehr hier. Damals habe ich mir geschworen, die Villa Sirene nie wieder zu betreten, so wütend war ich. Aber Wut vergeht, und manche Schwüre werden irgendwann unsinnig.« Sie seufzte, und nach einer weiteren
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