Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
begehrenswert.
Doch sofort fielen ihr die Abschiedsworte des Paters wieder ein: Denke daran, was du zu dieser Stunde über ihn gedacht hast. Das Teuflische an Johannes war nicht seine völlige Gewissenlosigkeit – Italien war reich bestückt mit tückischen Menschen. Aber dass die Verbrechen dieses Geistlichen sich nirgendwo in seinem Antlitz abzeichneten, dass er das Gesicht und den Körper einer antiken Heldenstatue hatte, kam Marocia geradezu unheimlich vor. Ja, er war ihr zuwider bis ins Mark.
Mit einer blitzartigen Bewegung stand sie auf und sprang an ihm vorbei aus der Kutsche ins Freie. Der Schneesturm raubte ihr fast jede Sicht, aber der Lateranpalast zeichnete sich wie ein riesiger Felsklotz durch schwarze Nacht und Schnee ab. Sie hastete den Mons Caelius hinauf, hörte Johannes’ Schritte, hörte seinen Atem, spürte schließlich seine Hand auf ihrer Schulter. Er wirbelte sie herum, so dass sie ihm nun direkt in die Augen sah.
»Töte ihn!«, schrie er. »Verstehst du nicht? Du und ich, wir sind füreinander gemacht. Früher oder später werde ich dich kriegen.« Sie versetzte ihm mit ihrer ganzen Kraft eine Ohrfeige und schaffte es gleichzeitig, sich loszureißen und weiterzulaufen. Erschöpft wankte sie auf die einzige Pforte zu, die sie erkennen konnte, und ging hinein. Der dumpfe Knall des schweren hinter ihr zufallenden Tores vermittelte ihr ein flüchtiges Gefühl der Sicherheit.
Sie war in der neuen Laterankirche. Mit den kleinen Fenstern, den schmucklosen, wuchtigen Innensäulen und hohen Gewölben wirkte diese ebenso bedrückend wie ihre einst eingestürzte Vorgängerin. Dunkelheit umgab Marocia, Gott war nicht zu spüren. Sie weinte, taumelte weiter, schwankte zwischen Zorn und Ohnmacht. In der Hand hielt sie das todbringende Gift. Vor dem breiten steinernen Altar fiel sie schwer atmend auf die Knie und lehnte ihre Stirn gegen die kühle Platte, die ihr vor fast genau einer Dekade vor den herabstürzenden Trümmern das Leben gerettet hatte. Nach einigen Minuten der Besinnung strömten langsam und leise die Worte aus Marocia heraus. »Nie wieder so gedemütigt werden. Nie wieder allein sein. Und nie wieder machtlos sein. Koste es, was es wolle.«
Sie hörte das Rauschen eines Gewandes herannahen, wie das Flüstern eines Windes. Als sie sich umwandte, erhob sich eine schwarze Silhouette vor ihr.
Zweiter Teil
Die Hure des Papstes
Der Weihnachtstag, Anno Domini 963
»Marocia, Senatrix von Rom, tritt vor das Gericht.« Dem fordernden Aufruf eines Sekretärs folgte bleierne Stille. Die Petersbasilika ruhte, als sei sie allein mit sich selbst, doch tatsächlich war sie angefüllt mit Prälaten, Mönchen und Würdenträgern, die alle in eine Richtung blickten. Scheinbar endlos – in Wahrheit nur wenige Augenblicke – dauerte es, bis eine einzelne Gestalt aus einer Seitenkapelle trat und die stumme Aufmerksamkeit aller auf sich vereinigte. Im Mittelgang des Kirchenschiffs angekommen, bewegte sie sich nicht weiter fort. Den Kopf erhoben, die Augen auf das andere Ende der Basilika gerichtet, verharrte die alte Frau wie ein Standbild.
War schon das allein eine Provokation, tat ihr Kleid ein Übriges. Nicht im frommen Schwarz, nicht im Weiß der Unschuldigen und Büßer erschien sie zu ihrer Befragung, sondern in flammendem Rot. Doch kein empörtes Raunen ging durch die Reihen zur Rechten und zur Linken, wie es bei einem solchen Auftritt zu erwarten gewesen wäre. Die Basilika blieb still, einen Atemzug, einen weiteren, einen dritten, vierten und fünften lang, bis die ungeduldige Stimme des Sekretärs erneut den monumentalen Raum und die Kälte durchdrang: »Marocia, Senatrix von Rom, tritt vor das Gericht.«
Wieder vergingen Momente. Als sei die Szene nicht Gegenwart, sondern ein leuchtendes, gut erhaltenes Mosaik aus einer längst erloschenen Zeit, verharrte sie regungslos. Doch gerade als der Sekretär zu seinem dritten Ruf ausholen wollte, setzte Marocia zum erlösenden Schritt an. Langsam und gleichbleibend fest ging sie den Mittelgang entlang und hielt erst vor der Triade ihrer Richter inne. Während der Sekretär sachlich kalt die Formalien vorlas, die jedem Prozess vorauszugehen hatten, blickte Marocia die Mitglieder des Tribunals einen nach dem anderen an. Die beiden Geistlichen außen senkten schnell die Lider. Es waren die Äbte der bedeutenden Klöster von Farfa und Mons Cassinus, die Marocias Arbeit nicht wenig zu verdanken hatten. Doch sie schienen unsichtbar von dem Mann in ihrer
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