Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
roten Früchten, und ihr Duft mischte sich mit dem Dampf heißen gewürzten Weines. Vor dem prasselnden Kamin am Ende des Raumes stand Sergius in einem reich bestickten, sehr weltlichen Gewand.
»Willkommen«, rief er und verbeugte sich leicht. Marocia bemerkte, dass seine Stimme zart geblieben war, aber es kam ihr vor, als sei er in den fünf Jahren seit ihrer letzten Begegnung um zwanzig Jahre gealtert. Hatte er früher schon diesen großen, eckigen Kopf? Sie erinnerte sich noch an seinen vollen Schopf – fast nichts war von ihm geblieben. Und als er auf sie zuging, wirkten seine Schritte selbst für einen Mann seiner stattlichen Größe ungewöhnlich hölzern.
Sergius lächelte und fasste sie an beiden Händen, wie am Tag des Festes bei Ageltrudis, und seine wässrig grauen Augen glänzten, als habe er ihre Hände seither nicht losgelassen. Dann strich er ihre bekleideten Arme hoch und umfasste schließlich ihre Schultern, ganz so, wie ein Bildhauer es mit dem Modell seiner Bewunderung tun würde. Marocias korrekten Knicks verbot er ihr gleich. »Du stehst – Verzeihung, die Gewohnheit –
Ihr
steht hier nicht vor dem Papst, sondern vor Sergius, und der duldet keine gebeugten Häupter.«
Sein Lächeln war ehrlich und wohlmeinend. Aber Marocia hatte heute zu viel erlebt, um in ihm einen Gönner zu sehen. Sergius hatte seine Zustimmung zu diesem Handel gegeben, er hatte zugelassen, dass sie wie eine Hure in seinen Palast geschafft worden war. Und – er war ein Geschöpf ihrer Mutter. Drei Gründe, um ihn nicht als Freund zu betrachten.
»Ihr könnt Euch die höfliche Anrede sparen, Heiligkeit. Noch bevor der Morgen anbricht, habt Ihr mich ohnehin wieder geduzt. Oder behaltet Ihr die Förmlichkeit auch unter der Bettdecke aufrecht?«
Ihr Sarkasmus ließ ihn merklich stutzen. »Bin ich denn so schrecklich für dich, dass du mich sofort beleidigen musst?«
Marocias Brust hob und senkte sich in kurzen Abständen. »Schrecklich?«, rief sie. »Das Wort trifft es nicht, Heiliger Vater, denn Ihr habt nichts Erschreckendes an Euch. Aber Abstoßendes.«
Sein Zucken war fast unmerklich, und vermutlich um das leichte Zittern seines Körpers zu verbergen, ließ er Marocia los.
Sie aber setzte schnaubend nach. »Ich werde vor Euch abgestellt wie eine Sklavin. Wieviel Zuneigung erwartet Ihr von einer Rechtlosen? Hoffentlich keine, denn Ihr werdet keine erhalten.«
Sergius’ Reaktion überraschte Marocia. Sie rechnete mit einem Wutausbruch, mit eisigem Zynismus oder irgendeinem befehlenden Wort, das sie parieren und ihrerseits zurückschleudern konnte. Sie war so voller Wut über ihre Mutter, ihren Vater, über Johannes und vor allem über die Ausweglosigkeit ihrer Situation, dass sie am liebsten geschrien hätte wie ein gefangenes Tier. Aber Sergius gab ihr keinen Anlass dazu. Er erwiderte nichts, sah betreten zu Boden, und als er sie bat, näher zu treten und einen Kelch dampfenden Weines anzunehmen, hatte er sein freundliches Lächeln bereits wiedergewonnen.
Marocia rang sich halbherzig ein dankendes Kopfnicken ab, als er ihr den warmen Kelch in die Hand gab und eine Bank am Kamin anbot. Jetzt erst spürte sie, was Kälte und Feuchtigkeit an ihr angerichtet hatten. Wie nasses Laub auf den Gassen klebten die Kleider ihr an Armen und dem Oberkörper, die Haut war blass und kühl, und ab und an tropfte geschmolzener Schnee von ihren Haaren in Nacken oder Gesicht. Draußen tobte der Wintersturm; sein Wind schlüpfte durch die Ritzen und ließ Marocia frösteln. Als Sergius das bemerkte, ging er zum Kamin.
Mehr noch als der heiße Wein, den Marocia langsam die Kehle hinuntergleiten ließ, beruhigten sie die gelassenen Bewegungen, mit denen Sergius das Holz nachlegte, den Blick andächtig ins Feuer gerichtet. Sie beobachtete diesen Mann, als wollte sie ihn neu kennen lernen. Sie hatte seit Jahren kaum an ihn gedacht, und wenn, dann als netten Onkel einer fernen Zeit, der ihr Geschenke geschickt und Spaziergänge außerhalb der Villa ermöglicht hatte. Ihr kam der Gedanke, dass Sergius diese letzten fünf Jahre womöglich ganz anders erlebt hatte, dass vielleicht kein Tag vergangen war, an dem er nicht das Mädchen Marocia aus ganzem Herzen vermisste. Konnte es sein, dass ihr Körper heute Abend einen Raum betrat, in dem ihr Geist schon eine ganze Weile wohnte?
»Erinnerst du dich an damals?«, fragte er, während er weiter gemächlich im Kamin stocherte. »An unsere Tänze auf dem Fest von Ageltrudis und an unsere
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