Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
sie in ihren weiten bunten Gewändern eine Respekt einflößende Erscheinung. »Ich bin erfreut«, sagte sie kalt, »dass du deine Aufgabe im Lateran so klar erkannt hast. Ich rate dir also im Guten: Geh hin, und erfülle sie.«
Theodora setzte sich wieder und verharrte bewegungslos auf ihrem Platz, bis Marocia an der Tür angekommen war.
»Die Kutsche erwartet dich bei Sonnenuntergang vor der Pforte«, waren die Abschiedsworte, die Marocia von ihrer Mutter zugerufen bekam.
Marocias erster Impuls, nachdem sie Theodoras Arbeitszimmer verlassen hatte, war Ungehorsam. Die Pforte war nicht bewacht, es wäre ein Leichtes für sie, aus der Villa zu entkommen. In ihrem Gemach packte sie sogleich einige Sachen in einen Sack, Kleidung, die nicht zusammenpasste, dazwischen zwei schmale Bücher, die Feder, die der Pater ihr geschenkt hatte, und zuletzt ein weißes Tuch, das Egidia vor einigen Jahren mit Blumenmotiven gelb bestickt hatte. Sie schleifte den Sack bis zur Tür und sah sich noch ein letztes Mal in ihrem Gemach um.
Erst jetzt dachte Marocia daran, dass sie ein Ziel brauchte, einen Unterschlupf. Schließlich konnte sie ja unmöglich wie eine Bettlerin durch die Straßen irren. Der Pater, fiel Marocia ein. In seiner Kirche
Sanctus Sebastianus
fände sie gewiss Zuflucht; der Pater würde sie nicht zurückweisen. Aber Theodora . . . Sie wäre gewissenlos genug, Marocia mit Gewalt aus dem Gotteshaus zu zerren.
Aber so schnell gab Marocia nicht auf. Es musste doch jemanden geben, der Freunde hatte, der sie irgendwo verstecken konnte. Sie ließ die Leine des Sacks fallen und stürzte in das Gemach, das neben ihrem lag. Leon saß dort über ein Kartenspiel gebeugt, das vor einiger Zeit aus dem Westfrankenreich gekommen war und von dem Pater Bernard gemeint hatte, es entspreche Leons Charakter. Patience war sein Name, und Marocia wurde schon aggressiv, wenn sie es nur ansah. Sehr zögerlich riss Leon sich davon los, um Marocias Erklärungen zuzuhören.
»Flucht?«, kommentierte er irritiert. »Was meinst du mit Flucht?«
»Was ist denn daran so schwer zu verstehen? Weg von hier. Fort. Pater Bernard hat mir geraten, mir selbst treu zu bleiben. Und das mache ich. Kennst du jemanden, zu dem ich gehen kann?«
»Ich verstehe kein Wort«, meinte Leon.
Marocia sah ihrem Bruder in die Schafsaugen. Er war ein dicklicher Bursche in ihrem Alter, aber alles an ihm schien vor Jahren stehen geblieben zu sein. Er sah aus wie zwölf. Obwohl sie ihn in diesem Moment hätte erwürgen können, schaffte sie es dennoch nicht, ihm wirklich böse zu sein. Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn und lief so schnell aus dem Raum, wie sie ihn betreten hatte.
Ihren Vater traf Marocia im
tablinum
an, dem Speiseraum. Die äußeren Anzeichen seiner Trunksucht hatten Spuren hinterlassen. Die Vornehmheit seines Gesichts war einer schwammigen Fülle gewichen, die Augen glitzerten unheimlich, und sein Bart und die Haare wirkten trotz aller Bemühungen der Diener stets verwahrlost. Doch Marocia hatte Glück. In diesem Moment war Theophyl nüchtern. Sie erklärte ihm, so langsam, so deutlich und so leise sie konnte, welches Schicksal Theodora ihr bereiten wollte, dann bat sie ihn um Hilfe.
Doch Theophyl schwieg. Sein Gesicht begann zu beben, und die Hand griff zittrig nach dem nur halb gefüllten Weinkelch und wollte ihn an den Mund führen. Marocia legte sacht ihre Hand auf Theophyls Arm.
»Nicht«, bat sie. »Bitte.«
Er schwieg weiter.
»Du kannst doch nicht wollen, dass Mutter mich als . . . dass sie mich in den Lateran verkauft. Es ist nicht richtig, es ist einfach nicht richtig.«
Er schwieg weiter, und Marocia fragte sich, ob er je wieder sprechen würde.
»Vater, ich brauche dich jetzt«, bekräftigte sie.
Theophyl ertrug es nicht länger, sie anzusehen. Er vergrub sein Gesicht in den Händen und begann laut und lang anhaltend zu schluchzen.
Marocia stand auf. Schleppend ging sie hinaus, durch das Atrium in das
peristyl
, wo noch immer böiger Wind an den Sträuchern zerrte. Regen schlug ihr ins Gesicht. Sie war allein. Jetzt erst begriff sie, dass sie keinen Freund mehr hatte, keine hilfreiche Hand, kein Herz, das für sie schlug, ja nicht einmal ein Ohr, das ihren Klagen lauschte. Dieses Haus war leer. Die, die noch in ihm lebten, zählten nicht. Die, die gegangen waren, hatten das wenige, das gut war, mit sich genommen. Hier konnte sie nicht bleiben, und fliehen konnte sie auch nicht, ohne andere damit in Schwierigkeiten zu bringen.
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