Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
schmunzeln.
»Ich kenne seine ‹Briefe aus der Verbannung›, erläuterte Marocia. »Und die ‹Metamorphosen›.«
»Hojo, langweiliges Zeug, nie gelesen«, winkte die Zofe ab und neigte sich mit gespitzten Lippen ihrer Herrin zu. »Ars Amatoria«, flüsterte sie. »Die Liebeskunst. Wenn Ihr dieses Buch nicht gelesen habt, kennt Ihr Ovid nicht, was rede ich, kennt Ihr die Welt nicht.«
Marocia lehnte sich an einen Baumstamm und seufzte. Nein, sie kannte die Welt nicht, sie kannte ja nicht einmal die Stadt, in der sie lebte. Wie gern hätte sie das nachgeholt, was ihr in der Kindheit verwehrt worden war, wie gern wäre sie ins Flavische Theater gegangen, das die Römer Kolosseum nannten, oder über das halb verfallene Forum Romanum und den Palatin geschlendert. Doch die Begegnung mit Johannes war noch zu frisch, und sie fürchtete, er könnte ihr außerhalb des Laterans erneut auflauern. Sie war von einem Gefängnis in ein anderes gekommen.
Aber auch innerhalb dieser neuen Mauern standen die Dinge nicht zum Besten. Sergius erschien ihr mit jedem Tag widersprüchlicher. Zwar hielt er sich seit dem ersten Abend merklich zurück, verwöhnte sie mit kleinen Aufmerksamkeiten und bat sich nur aus, dass sie ihn endlich duzte und ihm zu den Mahlzeiten Gesellschaft leistete, aber anhand von kleinen, fahrigen Gesten und eindringlichen Blicken entdeckte sie seine wachsende Ungeduld. Wie lange würde er sie noch in Ruhe lassen, wie lange darauf warten, dass sie den nächsten Schritt täte?
Als belastend erwies sich für sie auch, dass ihre Stellung im Lateran undefiniert war. Manche der hier lebenden Geistlichen empfanden sie gnädig als Gast, andere verteufelten sie als Schlange der Versuchung, die meisten aber – und auch die Mehrzahl der Römer – sahen in ihr nur eine gewöhnliche, unwichtige Hure, eine halbwüchsige Konkubine, die dem Heiligen Vater zur Entspannung diente. Vor allem diese letzte Ansicht verletzte Marocias Stolz, denn sie konnte es wohl ertragen, geduldet oder gehasst, nicht aber verächtlich ignoriert zu werden. Ausgerechnet Saxo aber, der
primicerius
des Lateran, hatte sich zum Meinungsführer dieser Fraktion gemacht. Er war so etwas wie der oberste Minister des Papstes und zugleich ein gestrenger und penibler Hausmeister des Lateran, und diese Positionen ermöglichten es ihm, dafür zu sorgen, dass die ihm unterstehenden Geistlichen des Palastes Marocia nicht mehr Höflichkeit schenkten als einem Möbelstück.
Die beiden Spaziergängerinnen verließen den Kiesweg und stapften quer über eine Wiese. Jeder ihrer Schritte knackte eine Eisschicht und scheuchte ein paar Krähen auf, die sich mit lautem Geschrei von den Ästen schwangen. An einer kleinen Bank zwischen Zypressen machten Marocia und Damiane Halt und setzten sich. Von hier bot sich ihnen ein weiter Blick über die zugefrorenen Beete des Gartens.
»Also, was genau kann ich von Ovid über die Liebe lernen?«, fragte Marocia, der das Thema keine Ruhe ließ.
Damiane freute sich sichtlich über das Interesse ihrer Herrin. »Hojo«, rief sie gedehnt aus. »Alles. Beispielsweise, mit welchen Mitteln ein Mann zu erobern ist und mit welchen Mitteln er getäuscht werden kann.«
Marocia faltete die Hände und stützte ihr Kinn auf die Fingerspitzen, wie immer, wenn sie angestrengt nachdachte. »Täuschen?«, fragte sie unsicher.
»Hojo! Es gibt Situationen, in denen es ratsam ist, nicht die Wahrheit zu zeigen.«
Damianes Sommersprossen glühten derart, dass Marocia sie fast zählen konnte. »Ein Mann könnte beleidigt werden, wenn . . . Es ist schwierig, so etwas einer Frau zu erklären, die noch nie . . . wie soll ich es beschreiben?«
Marocia sah ihre Zofe mit großen Augen an. »Versuch es bitte, Damiane.«
Ein knarrendes Geräusch schreckte sie beide kurz auf, aber gleich darauf kam ein Hase zwischen den Sträuchern hervor und hoppelte, das weiße Hinterteil in die Höhe gestreckt, eilig davon. Damiane sah ihm eine Weile nach, so als wolle sie sichergehen, dass er keines ihrer Worte hören konnte, dann sagte sie langsam und jedes einzelne Wort betonend: »Je enttäuschter Ihr in einer Liebesnacht von Eurem Gefährten seid, umso weniger dürft Ihr es ihn . . . na ja, spüren lassen.«
Marocia lachte auf. »Im Ernst?«
»So mache
ich
es immer.«
Marocia sog die Eisesluft ein. »Du machst . . .? Hier im Lateran?«
Damiane fing an zu stottern. »Ich sage kein Wort mehr«, brachte sie schließlich heraus und bedeckte die Wangen mit ihren
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