Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
waren, bemerkte zunächst niemand, wie Marocia auf dem Mittelgang näher trat. Erst als der Papst sich erhob und verblüfft in ihre Richtung starrte, wurde der Saal auf sie aufmerksam. Ihr Name zischte wie ein säuselnder Wind durch die Menschenmenge und erreichte nach wenigen Sekunden auch die schlechtesten Plätze. Dann wurde es ruhig, die Szene erstarrte vor Entsetzen: Marocia, die Hure, wagte es, das Zentrum christlicher Macht zu betreten.
»Tritt näher!«, rief Sergius, aber die Lautstärke des Rufs konnte nicht die Unsicherheit dahinter verbergen. Seine breite Stirn lag in Falten, und seine Hand zitterte, als er sie der noch immer wartenden Marocia höflich entgegenstreckte.
Doch Marocia rührte sich nicht. Bewegungslos, als habe sie die Worte des Stellvertreters Gottes nicht gehört und seine Geste nicht gesehen, blieb sie auf ihrem Platz im Mittelgang stehen und hob nun ihrerseits den rechten Arm dem Papst entgegen, forderte ihn damit gleichsam auf, sie abzuholen.
Aus dem Gesäusel von vorhin war jetzt ein unfreundliches Raunen geworden, dennoch stieg Sergius die Stufen seines Thrones herab, ging Marocia entgegen und nahm ihre Hand.
»Warum machst du das?«, flüsterte er ihr zu, so dass es keiner der anderen hören konnte.
»Ich will«, flüsterte sie zurück, »dass sie sich verneigen, wenn ich an ihnen vorübergehe, und nun, mit dir an meiner Seite, bleibt ihnen nichts anderes übrig.«
»Sie verneigen sich vor
mir
, nicht vor dir.«
»Ja«, bestätigte Marocia. »Aber ich werde so tun, als ob ich das nicht wüsste, und huldvoll zurücknicken. Das wird sie ärgern.«
Sergius schmunzelte, und auf dem Weg zu den Stufen des Throns erfüllte sich Marocias Wunsch: Sergius und Marocia gingen ganz langsam, schlenderten wie durch einen Garten, bei dem die Delegationsmitglieder in ihren kostbaren Gewändern die Blumen und ihre Köpfe wie von der Sonne gebogen waren. Vor einer übergroßen Wandmalerei, die passenderweise Jesus im Gespräch mit Maria Magdalena zeigte, blieben sie stehen.
»Was führt dich nach all den Wochen hierher?«, wisperte Sergius ebenso neugierig wie erfreut. »Es muss ja furchtbar wichtig sein.«
Sie neigte sich nahe an sein Ohr. »Ich habe damals doch versprochen, einen Anfang zu machen. Bitte sehr, das ist er.«
Zum ersten Mal hörte sie diesen steifen Mann lauthals lachen. »Und?«, fragte er. »Findest du ihn besser als meinen?«
»Stilvoller«, antwortete sie und durchforstete die Menge nach Saxo, fand ihn aber nicht. »Ich habe aber auch einen konkreten Anlass für meinen Besuch. Ich würde gern die Erlaubnis erhalten, die Bibliothek zu betreten.«
Seine Stirnfalten zogen sich zusammen. »Das ist – unmöglich.«
Marocia legte ihr feinstes ironisches Lächeln auf und hob die Augenbrauen. »Blitzt es ansonsten vom Himmel? Bricht die Pest aus? Schickt der Herr die sieben Plagen?«
»Nur ich selbst, Saxo und einige ausgewählte Mönche haben Zutritt zur Bibliothek.«
»Findest du es nicht eine unerhörte Verkehrung von Wirkung, wenn zehntausend Autoren für eine Hand voll Leute geschrieben haben?«
Sergius atmete tief durch. Er hatte es seiner geliebten Marocia eigentlich nicht sagen wollen, aber nun blieb ihm nichts anderes übrig. Noch leiser als bisher flüsterte er: »Es befinden sich Bücher in der Bibliothek, die . . .«
». . . eigentlich nichts in einem Haus Gottes zu suchen haben«, ergänzte sie. »Ovids Liebeskunst, Juvenals Satiren, Martials Elegien und so weiter.«
Sergius schnappte nach der kühlen Luft des Saales. »Du kennst das alles schon?«
»Jede Zeile«, log sie. »Daher gibt es auch keinen Grund, die Bücher vor mir zu verstecken, nicht wahr?«
Sein Gesicht wurde nachdenklich. »Was würde deine Mutter dazu sagen?«
Marocia schnaufte, und ihre Augen funkelten wie schwarze Diamanten. Sie gab sich jetzt keine Mühe mehr, leise zu sprechen.
»Also entweder«, rief sie, »ich bin noch ein Mädchen, dann gehöre ich nicht hierher. Oder ich bin eine Frau, dann kann ich für mich selbst bestimmen. Und außerdem frage ich mich, wer hier eigentlich der Papst ist: meine Mutter oder du?« Mit einem großen Schwung drehte sie sich um und ging unter dem entsetzten Gewisper der Versammelten davon, ehe Sergius etwas erwidern konnte.
Noch in der gleichen Stunde wurde Marocia von einem Boten ein Brief überbracht, in dem Sergius ihr den dauernden Zutritt zur lateranischen Bibliothek gewährte. Es war der erste Erfolg, den Marocia aus eigener Kraft erstritten
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