Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
hatte, und als sie noch am gleichen Abend die riesige, schummrig beleuchtete Bibliothek betrat, fühlte sie sich bereits wie die Herrin des Lateran. Als sie jedoch mit einer Hand voll Bücher in ihre Gemächer zurückkehrte, wartete dort Sergius auf sie, spärlich bekleidet, und schlang langsam und vor Erregung zitternd seine Arme um Marocia. Sie zahlte zum ersten Mal den Preis für etwas, das sie unbedingt gewollt hatte.
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Saxo fuhr sich mit dem Ärmel seiner Kutte über die Stirn und murmelte leise Flüche vor sich hin, allerdings nicht auf Lateinisch, sondern in seiner bairischen Heimatsprache. Zum einen wollte er den Herrn nicht kränken, indem er beim Schimpfen die Sprache der Heiligen Väter benutzte, zum anderen sollte ihn sein Begleiter, der ein Stück vorauslief, nicht verstehen.
Der Frühling dieses Jahres 907 begann ungewöhnlich heiß. Es war eine Tortur, zur Mittagszeit durch die engen, stickigen Gassen mit ihren aufgeheizten Pflastern und Häuserwänden zu laufen. Doch es war noch nie anders gewesen in dieser Stadt, die mit Ausnahme solcher wohltuenden Inseln wie der großen Gotteshäuser und der mächtigen Paläste aller Epochen schon von jeher aus dicht aneinander gebauten, bis zu siebenstöckigen Gebäuden bestand. Daher waren die Straßen zu dieser Stunde fast nur von Ratten, Krähen und streunenden Katzen bevölkert. Kein Römer, der nicht unbedingt musste, verließ in der Sonnenglut sein Haus.
Eine Ausnahme der Vernunft bildeten die Pilger, die die Hitze als Prüfung und Teil des Martyriums anzusehen pflegten und überall waren. Zu dieser Jahreszeit strömten sie besonders reichlich in die Ewige Stadt. Der Winter, in dem das Reisen fast unmöglich war, war selbst in den nördlichen Gegenden der beiden Frankenreiche und Angelsachsens vorüber. Nun war die Gelegenheit besonders günstig, die Beschwernisse des Ganges nach Rom auf sich zu nehmen, um in den sieben Pilgerkirchen Buße zu tun, Dank auszusprechen oder die Gunst des Herrn in der einen oder anderen Angelegenheit zu erbitten. So war man rechtzeitig zum nächsten Wintereinbruch wieder in der Heimat, hoch angesehen und – falls man ein junger Mann war – als Heiratskandidat begehrt. Doch so mancher überlebte die Ewige Stadt nicht. Es gab bei weitem nicht genügend Unterkünfte, und viele mussten die Nächte unter freiem Himmel verbringen, wo sie Opfer von Überfällen wurden. Andere wiederum starben helllichten Tages in den glühenden Häuserschluchten am Schlag, und manchmal bemerkte man ihren Tod erst viele Stunden später, wenn die Hitze das Werk der Natur beschleunigte.
Im Vorbeigehen zeichnete Saxo ein Kreuz in die stinkende Luft, als zwei Stadtdiener einen Leichnam auf eine Bahre hievten und davontrugen. Doch gleich darauf fand er wieder zu seinen Flüchen zurück. »
Oh, mulier
«, flüsterte er. Dann korrigierte er sich schuldbewusst. »Oh, dieses Weib.« Sie hätte ihm wenigstens eine Kutsche schicken können. Immer neue Schimpfwörter dachte er sich für Theodora aus. Es ging ihm sehr gegen den Strich, für eine Frau zu arbeiten, noch dazu für eine Hure, auch wenn sie die reichste und mächtigste der Stadt war. Doch als Verwalterin der päpstlichen Finanzen würden ohne ihr Wohlwollen die Einnahmen seiner Kirche weit weniger üppig ausfallen, als es der Fall war, und diese Vorstellung grauste ihn. Allein deshalb hatte er sich herabgelassen, Theodoras heimlicher Verbindungsmann zu sein. Sie freilich nannte ihn geringschätzig ihren »Wachhund«. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass alle Weiber nur selbstgefällige und ehrfurchtslose Dinger waren, dann war er damit erbracht, dachte Saxo, und trat mit aller Wucht auf einen stinkenden Müllberg ein.
Als Saxo erschöpft über die verblichenen Fliesen des Forum Romanum schlurfte, fiel ihm auf, wie viel Schritte sein jüngerer und wesentlich leichterer Begleiter ihm mittlerweile voraus war.
»Willst du mich umbringen, Desiderius?«, rief er zwischen den zerfallenden Tempeln und Bögen des menschenleeren Platzes hindurch, auf dem wie üblich einige Schafe und Rindviecher weideten.
Saxo grinste zynisch. Die Möglichkeit bestünde sogar, dachte er. Desiderius, sein Sekretär und Stellvertreter, war ein aalglatter Benediktiner, den er im Verdacht hatte, Menschen allzu gern nach dem Mund zu reden, um voranzukommen. Außerdem war er dürr, mit einem länglichen, blassen Advokatengesicht, und nach Saxos Erfahrung waren Menschen mit einer solchen Statur von Natur aus
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